Neptuns Tochter (Gesamtausgabe)
T.
Mit dem Daumen strich Mika über das Display. Timea wollte sie sehen. Das konnte nur etwas Gutes bedeuten. Dabei hatte Mika richtig Panik geschoben, nachdem sie wieder einigermaßen klar hatte denken können. Ihre offensive Liebeserklärung – sie war sich nicht mehr sicher gewesen, Timea damit nicht zu überfordern.
Mika schloss einen Moment die Augen, um das Bild heraufzubeschwören, wie Timea auf der Couch lag. Völlig entspannt. Das Kopfkissen im Arm. Ein sanftes Lächeln auf den Lippen, und ein Leuchten im Gesicht, das Mika eine Ewigkeit in seinen Bann gezogen hatte – die viel zu schnell vorüber gewesen war.
»Mika, Schatz, wo bleibst du?«, fragte ihre Mutter aus ein paar Metern Entfernung.
»Ich komme«, sagte Mika und tippte schnell ihre Antwort. Morgen Abend klingt prima. Ich warte bei Henriette. Einmal noch über das Display gestreichelt und auf Senden gedrückt; und schon war Mika gewappnet für die nächsten Stunden Brautkleid-Horror.
»Also was meinst du?« Patrizia David stand zwischen zwei Kleidern. Eines vermutlich schöner als das andere. Mika selbst konnte allerdings keinen Unterschied erkennen. Hier lagen zwei weiße Kleider. Und die Betonung lag auf … Kleider.
»Jetzt schaust du gerade wie damals, als dein Vater von einer Geschäftsreise Ken und Barbie mitgebracht hat.«
»Doch so begeistert?«, gab Mika zurück.
»Es ist nicht ganz vergleichbar. Im Gegensatz zu heute hast du dir damals keine Mühe gegeben, dein Entsetzen zu verbergen«, meinte Patrizia David, während sie sich wieder den Kleidern widmete.
»Mama, bitte. Wieso muss ich denn so etwas überhaupt tragen?«, fragte Mika verzweifelt.
»Lass mir doch die Freude«, bat die Mutter. »Wo ich davon immer geträumt habe. Mit meiner Tochter ihre Hochzeit vorzubereiten.«
»Aber habe ich da nicht auch ein Wort mitzureden? Schließlich ist es meine Hochzeit.«
»Jetzt, wo du’s sagst …« Patrizia David ließ die Kleider links liegen und wandte sich Mika zu. »Ich weiß auch nicht, warum ich das vergessen habe.«
»Weil du mich ärgern willst, nehme ich an«, murrte Mika.
»Ich will dich nicht ärgern«, erwiderte ihre Mutter. Sie winkte die Verkäuferin heran. »Meine Tochter und ich müssen noch einmal in Ruhe darüber sprechen.«
»Soll ich die Kleider vorsichtshalber zur Seite legen?«, fragte die Dame mit geschäftsmäßigem Eifer.
Neiiin , schrie es in Mika. Niemals würde sie diesen Ort des Grauens wieder betreten.
»Ich denke, dass das nicht nötig ist«, sagte die Mutter ruhig. »Ihre Auswahl ist so groß. Da werden wir gegebenenfalls auch später etwas finden.«
»Puh«, machte Mika vor der Tür. Sie breitete die Arme aus. Wie jemand, der nach Stunden der Finsternis endlich wieder Tageslicht und Sauerstoff um sich hatte. Sie hätte sich auch noch im Kreis drehen können. Allein der strafende Blick ihrer Mutter hinderte sie daran.
»Wenn ich dein Verhalten richtig deute, dann willst du bei deiner Hochzeit kein Kleid tragen.«
»Ich will nicht einmal heiraten«, murmelte Mika, ohne die Lippen zu bewegen.
»Hör auf zu nuscheln. Das kann ja kein Mensch verstehen«, ermahnte Patrizia David ihre Tochter.
»Ich hasse Kleider, Mama. Das weißt du«, schimpfte Mika. »Wenn es sich also irgendwie vermeiden lässt …«
»Keine Chance«, nahm Patrizia David ihrer Tochter jede Hoffnung. »Deine und Franks Hochzeit ist ein gesellschaftliches Ereignis.« Die Mutter ließ ihren Blick über Mikas Aufmachung wandern. »Da kannst du nicht in zerrissenen Jeans und kariertem Hemd auftauchen.« Ihre Lippen bewegten sich mit einem Mal unruhig hin und her. »Wobei … bei dir würde das niemanden wundern.«
Grinsend hakte sich Mika bei ihrer Mutter ein. »Dann ist ja alles klar, und wir können uns den wirklich wichtigen Dingen des Lebens widmen.«
»Die da wären?«
»Was für eine Frage.« Mika führte ihre Mutter die Einkaufspassage hinunter auf ein Café zu. »Kaffee und Kuchen natürlich.«
Bereits beim Betreten des Cafés hielt Mika Ausschau nach der Kuchentheke. Sie hatte heute Lust auf eine üppige Schwarzwälder Kirschtorte. Nun – nicht gleich die ganze Torte. Ein Stück reichte auch. Und vielleicht noch drei bis elf von diesen Quarkbällchen.
Ihre Mutter schüttelte den Kopf, als Mika ihre Bestellung aufgab. »Du weißt, dass es heißt: Eine Sekunde auf der Zunge, ein Leben lang auf den Hüften.«
Mika hob die Achseln. »Da ich deine Gene habe, muss ich mir darüber keine Gedanken machen.«
Weitere Kostenlose Bücher