Nerd Attack
Brian Bagnall zitiert den C64-Ingenieur Bil (sic) Herd mit den Worten: »Jumpman war wahrscheinlich das dauerhaft populärste Spiel überall in der Entwicklungs- und ich vermute auch einigen anderen Abteilungen.« Später sahen die Spiele besser aus, waren aufwändiger und manchmal auch intelligenter. Aber »Jumpman Junior« machte Spaß – und war kostenlos.
Im Startbildschirm meiner Version des Spiels stand »(C.) BY OLEANDER«. Eigentlich hätte dort »(C.) BY EPYX« stehen müssen, der Copyrightvermerk des Herstellers. Meine Version aber hatte »Oleander« gecrackt und in Umlauf gebracht – und im Programmcode des Spiels den dezenten Hinweis auf sich selbst hinterlassen. »Oleander« war der erste Cracker-Spitzname, den ich je bewusst wahrgenommen habe.
Als Gründungsmitglied der Cracker-Gruppe JEDI 2001 wurde Oleander alias Oliver Eikemeier später zu einer Legende der Szene. Heute arbeitet er als Software-Entwickler und Hochschuldozent. Einen ähnlichen Weg gingen viele der Szenegrößen der Achtziger – die frühe Erfahrung mit dem C64 und anderen Heimcomputern verschaffte ihnen später einen mächtigen Vorsprung innerhalb der gerade entstehenden IT-Branche.
Die uncoole Elite
Die Cracker-Szene rund um den meistverkauften Computer aller Zeiten war die erste internationale Techno-Subkultur, ein komplexes, dezentrales, hocheffizientes System, geformt und unterhalten von weitgehend mittellosen Teenagern. Diese nahmen erstaunlich viel von dem vorweg, was das Internet später in den Mainstream brachte. Sie schufen Begriffe, Kategorien und Zeichensysteme, die noch heute in Gebrauch sind – auch wenn kaum jemand ihren Ursprung kennt. Und sie legten sich nicht mit einer, sondern gleich mit drei mächtigen Branchen an: mit der Computerspielindustrie, den Telefongesellschaften und den Postdienstleistern.
Neben dem Knacken von Kopierschutzmechanismen hatten die Kinderzimmertäter noch eine Reihe anderer illegaler Aktivitäten im Angebot. Sie richteten so große Schäden an, dass in den USA sogar die Bundespolizei FBI hinter ihnen her war. In Deutschland gab es in den späten Achtzigern schon mal Razzien in gepflegten Einfamilienhäusern, weil die dort wohnenden Mittelklasse-Eltern unter ihrem Dach nichtsahnend einen allzu erfolgreichen Cracker oder »Swapper« beherbergten – so nannte man diejenigen, die für das Tauschen und Verbreiten frisch geknackter Spiele per Post zuständig waren.
Wie viele Cracker und Swapper es in Deutschland tatsächlich gab, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Vermutlich waren es nur einige hundert, vielleicht auch ein paar tausend. Von ihrer freiwilligen Arbeit aber profitierten Millionen. Auf nahezu jedem der Millionen von C64 in deutschen Haushalten wurde gespielt. Auf nahezu jedem zumindest gelegentlich eine Schwarzkopie, auf den meisten kaum etwas anderes. Penny Schiffer, heute Chefstrategin bei einem großen Schweizer Unternehmen, programmierte gemeinsam mit ihrem Vater bereits im Alter von elf Jahren Software auf dem C64. Heute erinnert sie sich: »Für unsere Raubkopien hatten wir zwei Diskettenkästen. Die Raubkopien, die wir als besonders teuer einschätzten, Büro-Software etwa, haben wir anderswo versteckt als die übrigen Disketten. Ich glaube nicht, dass wir jemals ein Spiel gekauft haben. Aber ich hätte auch gar nicht gewusst, wo man eigentlich eines kaufen kann.« Sätze wie diesen hört man immer wieder von Menschen, die damals mit dem C64 aufwuchsen. Gerade in ländlicheren Gebieten hätte es tatsächlich gar keine Möglichkeit gegeben, Spiele käuflich zu erwerben. Wie Originale überhaupt aussahen, wusste kaum jemand, echte Cover, Boxen, Anleitungsbücher bekam man so gut wie nie zu Gesicht. Das für die Erwachsenen unsichtbare Vertriebsnetz der Kinder mit ihren immer gleich aussehenden schwarzen Plastikdisketten aber erstreckte sich bis in die hintersten Winkel des Landes. Der Junge, von dem sie ihre Spiele erhielt, habe seine Disketten im Kamin des Elternhauses verborgen, erinnert sich Penny Schiffer. Andere Spielesammler umwickelten ihre Diskettenkästen mit dicken Kupferdrahtspulen, um im Falle eines Falles mit einem Knopfdruck einen mächtigen Elektromagneten einzuschalten, der die sensiblen Disketten und damit alle Beweismittel zerstörte.
Meine Sammlung von schwarz kopierten Spielen umfasst über hundert Disketten, ich besitze sie noch heute. Angetrieben wurden wir Kopierer damals nicht zuletzt von einer intensiven, wachsenden Sammelleidenschaft. So
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