Nerd Attack
die Kästchen, Plattformen, Labyrinthe und Treppen aller bisherigen Computerspiele auf – und ersetzte sie mit einer gewaltigen, unendlich erscheinenden Leere.
»Elite« ließ auf dem Fernsehbildschirm erstmals eine 3-D-Welt erscheinen, doch weil es in dieser Welt viel All und wenig sonst gab, zeigte der Bildschirm die meiste Zeit ein tiefes Schwarz, und verteilt darauf kleine weiße Punkte. Man spielt einen Weltraumpiloten, der in einem aus weißen Linien zusammengesetzten Raumschiff – das man nur im Vorspann zu sehen bekommt, sonst blickt man durch die Frontscheibe in die bestirnte Schwärze – durch eine ferne Galaxie reist. Er kann Hyperraumsprünge von Planet zu Planet machen und auf den sie umkreisenden Raumstationen landen, um dort Handel zu treiben. Die Raumstationen erinnerten mich an die zwanzigseitigen Würfel aus meinen Rollenspielboxen: symmetrische Objekte mit vielen Ecken und Kanten, die ständig um die eigene Achse rotierten. Sie waren ebenfalls lediglich aus Linien zusammengesetzt und hatten einen scheinbar briefschlitzgroßen Einlass an einer Seite. Diesen Einlass musste man zum Landen mit seinem Schiff genau treffen, sich im simulierten dreidimensionalen Raum exakt senkrecht dazu positionieren und dabei durch seitliche Rollbewegungen mit dem Joystick ständig die Rotation der Raumstation ausgleichen. Eine Aufgabe, die anfangs unlösbar schien.
Jede Kollision mit der Raumstation wurde bestraft: Wer nicht gleich zerschellte, den attackierten die Schiffe der Weltraumpolizisten. Und sie gewannen immer. Die anfänglichen Fehlversuche versorgten einen so mit wert-, aber auch schmerzvollen Lektionen in Sachen Luftkampf. Später, wenn man mit Weltraumhandel genügend Geld verdient hatte, erlaubte das Spiel den Kauf eines Landecomputers, der das Andockmanöver für einen übernahm, begleitet vom »Donauwalzer« von Johann Strauss. Diese Sequenz findet man bei »YouTube« innerhalb weniger Sekunden, aufgezeichnet und hochgeladen von Enthusiasten – Computerspielnostalgiker sind mindestens ebenso besessen von ihrem Hobby wie Modelleisenbahnfetischisten. Die »Elite«-Schöpfer, die Briten David Braben und Ian Bell, zitierten mit dem Strauss-Walzer Stanley Kubricks Science-Fiction-Klassiker »2001«. Ein typisches Beispiel für das komplizierte Spiel mit Zitaten und Querverweisen, das zum Wesen der Nerd-Subkultur ebenso gehört wie zur postmodernen Hochkultur.
Ein Ziel im eigentlichen Sinne hatte »Elite« nicht – außer, seinen Status, seine Reputation innerhalb des simulierten Universums zu steigern. Man begann »harmlos« und konnte sich über verschiedene Stufen bis hin zur »Elite« hocharbeiten. Bis dahin habe ich es nie geschafft, ich erinnere mich aber, wie stolz ich war, als ich endlich den Status »gefährlich« erreicht hatte.
Das Spiel erlaubte es, völlig unterschiedliche Strategien zu verfolgen, unterschiedliche moralische Entscheidungen zu treffen: Man konnte sein Geld mit dem Abbau von Mineralien aus Asteroiden verdienen, mit Piraterie, mit ehrlichem Handel (günstig kaufen, anderswo teurer verkaufen) oder aber mit Drogenschmuggel (hohes Risiko, hohe Gewinne, leichte Gewissensbisse). In der C64-Version gab es eine geheime Sondermission, in der man kleine Pelztierchen namens Trumbles transportieren sollte – um dann festzustellen, dass die sich im eigenen Laderaum rasend schnell vermehrten, so den gesamten Platz ausfüllten und weiteren Handel erst mal unmöglich machten. Das Ganze war ein »Star Trek«-Zitat, noch so ein Nerd-Kultur-Augenzwinkern: In der Originalserie mit Captain Kirk und Spock tauchen mehrmals sogenannte Tribbles auf, kleine, ungemein niedliche, sich rapide vermehrende Pelztierchen, die bereits schwanger geboren werden. Die einzige Möglichkeit, sich in »Elite« von der Trumbles-Plage zu befreien, war ein innerhalb der Spielergemeinde weitergereichter Geheimtipp: Flog man nah genug an eine Sonne heran, sodass das Raumschiff bedrohlich heiß wurde, überlebten die virtuellen Tierchen das nicht – und man konnte ihre Überreste anschließend als Pelze zu Geld machen. Nerd-Humor ist oft ziemlich schwarz.
Der Begriff »Nerd« hieß im amerikanischen Englisch ursprünglich einmal so etwas wie Streber oder Langweiler. Im Laufe der Achtziger jedoch wandelte sich das einstige Schimpfwort zur ironischen, und durchaus mit Stolz getragenen Selbstbezeichnung all jener, die dem Klischee zufolge gut am Computer, aber eher schlecht in Sport waren. Spätestens seit dem
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