Nerd Attack
obwohl die Deutsche Telekom den Markt noch als Quasi-Monopolist beherrschte und die Preise für DSL-Anschlüsse entsprechend hoch waren. Danach ging das Wachstum mehr oder minder linear weiter, der Napster-Explosion folgte ein geordneterer, aber stetiger Zuwachs.
Im Jahr 2009 gab es in Deutschland bereits 22,6 Millionen DSL-Zugänge. Insgesamt wuchs die Zahl der Haushalte und Unternehmen, die über einen Breitbandanschluss auf das Netz zugreifen, vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2009 um den Faktor 133. Das flächendeckend verfügbare Internet, in das all die glücklosen Kleinanleger in den Jahren um die Jahrtausendwende so viel Geld investiert hatten, materialisierte sich erst zehn Jahre später. Vorher gab es weder YouTube noch Internetradiostationen, Software wurde zumeist noch auf Datenträgern und nicht als Download verkauft. Der einzige triftige Grund, sich im Jahr 2000 oder 2001 zu Hause eine DSL-Flatrate zuzulegen, waren Tauschbörsen.
Bis heute macht Tauschbörsen-Traffic den Löwenanteil der Gesamtdatenmenge aus, die über Internetleitungen um den Globus wandert. Dem Unternehmen Ipoque zufolge, das auf die Analyse von Netzwerknutzung spezialisiert ist, verursachten die sogenannten Peer-to-Peer-Tauschbörsen (P2P), die legitimen Erben von Napster, in den Jahren 2007 und 2008 53 Prozent des Internet-Traffics in Deutschland. Allein das Bittorrent-Protokoll, ein Standard zur Datenübertragung, der zu nichts anderem benutzt wird, als große Dateien über P2P-Netzwerke zu verschieben, hat einen höheren Anteil am internationalen Datenverkehr als das Hypertext-Protokoll http, auf dem das gesamte WWW basiert. In anderen Teilen der Welt ist der Anteil des Tauschbörsenverkehrs noch wesentlich höher, etwa in Osteuropa (70 Prozent) oder Südamerika (65 Prozent). Das Internet ist bis heute der größte Gratis-Selbstbedienungsladen in der Geschichte. Und nur weil das der Fall ist, konnte es überhaupt so schnell wachsen.
All das ist ein offenes Geheimnis, diese Zahlen sind jedermann zugänglich. Allerdings sprechen Internet-Provider und andere, die mit dem Netz Geld verdienen, nicht gern darüber. Schließlich ist es schwer zu vermitteln, dass man die eigenen Kunden nicht zuletzt deshalb gewinnen konnte, weil man ihnen die Möglichkeit bot, in nie dagewesenem Stil unter Umgehung der Urheberrechte umsonst einzukaufen.
Für datenintensive Dienste wie die Videoplattform YouTube war der Boden damit bereits bereitet: Die globale Unsitte des unentgeltlichen Musiktausches hatte für jene Infrastruktur gesorgt, ohne die gestreamte Videos über das Netz noch heute nicht möglich wären. Die Nonchalance im Umgang mit Urheberrechten, die die Generation C64 im Kinderzimmer eingeübt hatte, war eine wesentliche Voraussetzung für das Internet, das wir heute kennen.
Der Kampf gegen die eigene Kundschaft
Als die Manager der Musikbranche merkten, was da vor sich ging, war es schon zu spät. Sie hatten versäumt, sich Geschäfts-und Vertriebsmodelle für das digitale Zeitalter auszudenken, und nun war ihnen ein Amateur mit einem genialen System zuvorgekommen – an dem sie keinen Pfennig verdienten. Ohnmächtige Wut war die Folge, und die bringt selten gut durchdachte Entscheidungen hervor. Anstatt eilig ein eigenes Angebot zu schaffen, das Musik legal über das Internet verfügbar gemacht hätte, begannen die Branchenverbände einen Krieg gegen die eigene Kundschaft.
Zunächst einmal ging man allerdings gegen Napster selbst vor. Der Dienst hatte, im Gegensatz zu den späteren P2P-Börsen, einen echten Pferdefuß: Alle Datentransfers wurden über zentrale Server koordiniert. Es war nicht schwer, Fanning nachzuweisen, dass sein Dienst für die Verletzung von Urheberrechten genutzt wurde und dass er nichts dagegen unternahm. Zunächst wurde Napster juristisch dazu gezwungen, Filter zu installieren, die alle angebotenen Dateien auf urheberrechtlich geschütztes Material durchsuchen und den Tausch der entsprechenden Dateien dann unterbinden sollten. Die Nutzer reagierten, indem sie schlicht die Dateinamen leicht veränderten, so dass die sehr simpel konstruierten Filter ins Leere griffen, der Datentausch munter weitergehen konnte. Die erste Volte, mit der die Napster-Gemeinde die Vorgaben der Branche umging, war gewissermaßen ein Rückgriff auf ein Verfahren wie die »Leet Speech«, die sich in den Mailboxen der frühen Achtziger entwickelt hatte, ebenfalls um automatisierte Suchwortfilter auszutricksen. Nun wurde eben nicht Hacker
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