Nerd Attack
selbst gehörte zu den digital Privilegierten dieser Tage: Weil ich eine Doktorandenstelle an der Universität Würzburg hatte, kam ich in den Genuss eines eigenen Büros am Lehrstuhl samt Rechner und Anschluss ans extrem schnelle universitäre Glasfasernetz. Zu Hause hatte ich ein 56-K-Modem, das ich nur sehr selten, gewissermaßen in Notfällen zum Einsatz brachte. Meine Internet-Bedürfnisse wurden von den fantastischen Möglichkeiten am Lehrstuhl mehr als abgedeckt. Ich gewöhnte mir schnell an, mehrmals täglich die Seiten der größeren Online-Medien zu besuchen. Ich tauschte weiterhin mit vielen Bekannten und Freunden E-Mails aus – inzwischen war der Kreis derer, die selbst einen Account hatten, gewachsen. Und dann, im Frühjahr 2000, als Intershop-Kommunikationschef Schambach noch von den »pfiffigen Ideen« sprach, die nun »belohnt« würden, trat ein Mitspieler auf die Bildfläche, der die Welt auf den Kopf stellen und meinen Internet-Missbrauch im Lehrstuhlbüro auf eine neue Stufe heben sollte. Ganz ohne Geld von der Börse.
Die Geschichten der Geniestreiche, die dem Internet von heute ihr Gesicht gegeben haben, lesen sich immer wieder ähnlich. Junge Technikfans an einer hochklassigen (in der Regel amerikanischen) Universität haben eine brillante Idee, verfolgen sie hartnäckig und erschaffen beinahe en passant etwas, das die Welt verändert. So war es bei Google, bei Facebook – und auch bei Napster. Der 19-jährige Student Shawn Fanning hatte an der Northeastern University in Boston weitgehend erfolglos versucht, Kommilitonen für seine Bemühungen an der Gitarre zu interessieren. Weil er seinen selbst geschriebenen Songs aber unbedingt ein Publikum verschaffen wollte, entschloss er sich 1999, sie im MP3-Format auf eine Webseite zu stellen und zum Download anzubieten.
MP3 ist einer der wichtigsten Beiträge aus Deutschland zur Netzwelt, sein Erfinder erhielt 2006 sogar das Bundesverdienstkreuz. Obwohl ihn mancher Manager der Musikindustrie bis heute insgeheim hassen dürfte.
Die Forschungsgruppe um Karlheinz Brandenburg am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen und an der Universität Erlangen-Nürnberg hatte in Zusammenarbeit mit Forschern in den USA bereits Anfang der Neunziger begonnen, Standards zu definieren, nach denen man Mediendateien schrumpfen könnte. Schließlich verfielen die Forscher auf eine ebenso simple wie brillante Idee: Sie schrieben eine Software, die all jene in einer Tonaufnahme enthaltenen Frequenzen zum Verschwinden brachte, die das menschliche Gehör ohnehin nicht wahrnehmen kann. Die meisten Instrumente produzieren solche Klänge: Töne, die höher als 18 000 bis 20 000 Hertz oder (seltener) tiefer als 16 Hertz sind. Brandenburg und seine Kollegen ermöglichten damit Dateigrößen, die sich tatsächlich in vertretbaren Zeiträumen über Internetleitungen verschieben ließen. Eine MP3-Datei mit einer Datenrate von 128 Kilobit pro Sekunde hat nur ein Elftel der Größe der entsprechenden Datei im Audio-CD-Format CDA, klingt aber fast genauso gut. Ab einer Datenrate von 192 Kilobit pro Sekunde können die meisten Menschen den Unterschied auch im direkten Vergleich von Original und komprimierter Datei nicht mehr erkennen.
Shawn Fanning stellte in seinem Wohnheimzimmer in Boston allerdings schnell fest, dass sein Songangebot im Netz trotz der kurzen Download-Zeiten wenig Interesse fand, und zwar nicht nur wegen der Qualität seiner Lieder. Musikdateien waren im Internet zu dieser Zeit kaum zu finden, viele Nutzer fürchteten juristische Konsequenzen und stellten deshalb lieber keine urheberrechtlich geschützten Songs auf ihre Web-seiten. Fanning, der Informatik studierte, machte sich an eine Lösung des Problems. Am Ende stand eine Software, die es erlaubte, die Festplatten aller Teilnehmer direkt nach Musikdateien zu durchsuchen. Die Nutzer des Programms mussten nur zulassen, dass Fannings Software ihren Rechner in einen Server verwandelte, von dem man aus der Ferne Dateien herunterladen konnte.
Napster stattete jeden Rechner, auf dem es installiert wurde, mit einer weit offenen Tür ins Internet aus. Nur ein definierter Ordner innerhalb des Systems stand allen anderen Napster-Nutzern offen, der Rest der Festplatte blieb vor den Blicken neugieriger Surfer geschützt. Im August 1999 richtete Fanning eine Seite ein, von der man seine neue Software herunterladen konnte. Eigentlich hatte er vorgehabt, lediglich Freunde und Bekannte auf dem
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