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Nerd Attack

Nerd Attack

Titel: Nerd Attack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Stoecker
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Universitätscampus in eine Art digitalen Tauschring für Musik einzubinden. Der Erfolg von Napster übertraf jedoch alle seine Erwartungen. Bereits Anfang 2000, sechs Monate nachdem er die erste Version zum Download angeboten hatte, verzeichnete Fannings Dienst über eine Million Teilnehmer. Im August 2000 waren es 6,7 Millionen, zu Jahresende 20 Millionen. Fannings »pfiffige Idee« hatte eine Revolution ausgelöst. Während an der Börse Kapital verbrannte wie Stroh in einem Hochofen, löste das kostenlos erhältliche Geschöpf eines Studenten genau die Art von fundamentalem Wandel aus, auf den in New York, London und Frankfurt alle Welt Wetten abschloss. Sogar ein bisschen Geld brachte Fannings Idee ein: Auf der Seite, von der man seine Software herunterladen konnte, platzierte er Werbung. Die Einnahmen reichten, um die wachsenden Server-Kapazitäten anzumieten, die das Wachstum des Dienstes verschlang.
    Ich kann mich nicht genau erinnern, wann mir Napster zum ersten Mal begegnete. Vermutlich hatte ich einen Artikel über diese neuartige und höchst dubiose Methode gelesen, sich nahezu beliebig MP3s zu verschaffen. Die Regeln für den Gebrauch von Computern an Universitäten waren damals noch weit weniger strikt als heute: An meinem Lehrstuhl hatte praktisch jeder fest angestellte Mitarbeiter uneingeschränkte Administratorenrechte für seinen PC, durfte also auch jede Art von Software installieren – selbst solche, die in so massiver Weise auf das Internet zugriff wie Napster. Die Benutzung von Computern im Allgemeinen und des Internets im Besonderen war in jenen Tagen eine Beschäftigung für die Mitglieder einer vergleichsweise kleinen Elite. Dieser traute man auch zu, keinen allzu großen Unsinn anzustellen – eine irrige Annahme.
    Ein Mitarbeiter der Methodenabteilung zum Beispiel hatte das Thema MP3 und Musiktausch sehr früh für sich entdeckt. Schon im Jahr 1999 richtete er einen ausrangierten Institutsrechner mit vergleichsweise großer Festplatte als Server ein und fütterte ihn mit dem Inhalt seiner CD-Sammlung. Dann hängte er diese Festplatte voller Musik ins lehrstuhleigene Intranet und forderte per Rundmail alle Lehrstuhlmitarbeiter (Professoren eingeschlossen) auf, sich doch bitte großzügig zu bedienen und gerne auch weitere Ordner anzulegen und sie mit eigenen musikalischen Beiträgen zu füllen. Erst als sich dieser private Musiktauschdienst innerhalb des Universitätsnetzwerks allzu großer Beliebtheit zu erfreuen begann, wurde er vom Rechenzentrum ermahnt, solche Aktivitäten bitte schön auf der Stelle zu unterlassen.
    Gegen Napster war der kleine MP3-Server im Uni-Intranet ein Witz. Meine ersten Streifzüge durch die Festplatten der Millionen Napster-Anhänger da draußen waren eine Offenbarung. Plötzlich stand einem das musikalische Archiv der gesamten westlichen Welt zur Verfügung. Natürlich gab es Lücken, vor allem was klassische Musik oder die abseitigeren Bereiche des Jazz anging. Aber Pop, Rock, Indie, Dance, Techno, Trance, Ambient, Trip Hop, Drum ’n’ Bass und so weiter, sprich: alles, worüber man zu dieser Zeit redete, war über Napster mehr oder weniger problemlos zu finden. Selbst seltene Mini-Alben obskurer New Yorker Gitarrenbands, die nur auf Vinyl erhältlich waren, wurden digitalisiert und mit dem Rest der Welt geteilt. Zum ersten Mal in der Geschichte konnte man in einer Zeitschrift eine Plattenkritik lesen und sich – sofern man das Privileg hatte, einen Rechner mit Glasfaser-Internetzugang zur Verfügung zu haben – eine halbe Stunde später anhören, ob der Rezensent recht hatte oder nicht.
    Man suchte innerhalb der kargen, sehr nach Windows aussehenden Benutzeroberfläche von Napster einfach nach dem Namen eines Albums, eines Künstlers oder eines bestimmten Songs und wurde fast immer fündig. Die Struktur des Dienstes hatte eine Empfehlungsfunktion gewissermaßen mit eingebaut: Fand man etwa das aktuelle Album einer gerade von allen Popzeitschriften gefeierten amerikanischen Alternativ-Country-Band auf der Festplatte eines freundlichen Spenders, erlaubte Napster einen direkten Blick in sämtliche freigegebenen Ordner auf dessen Rechner. Oft genug fand man dort weitere Schätze, von denen man kurz zuvor noch nicht einmal gewusst hatte, dass man sie überhaupt begehrte. Ich erinnere mich an einen glücklichen Nachmittag im Büro, an dem ich mir in knapp 20 Minuten die gesammelten Werke einer US-Band von einer Festplatte irgendwo in den USA heruntersaugte:

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