Nerd Attack
– sind schlecht für die Konzentration. Ich überlege immer wieder einmal, wie sich das Chaos reduzieren ließe, was man weglassen, ob man sich nicht selbst disziplinieren könnte. Zum Beispiel nur zu jeder vollen Stunde E-Mails zu checken und nicht jedes Mal, wenn mir die Verarbeitungszeit des Redaktionssystems zu lange vorkommt und ich nutzlos verstreichende zwei Sekunden deshalb mit einem kurzen Blick in den Posteingang fülle (der dann gern mal eine halbe Stunde dauert). Bis jetzt ist mir aber keine gangbare Lösung für das Problem eingefallen. Es gibt allenfalls Hilfsmittel wie E-Mail-Filter, die Nachrichten gewisser PR-Agenturen direkt in einen gesonderten Ordner befördern. In den will ich eines Tages mal hineinsehen, wenn ich dazu komme. Das fundamentale Problem aber bleibt bestehen, ich vermute, dass es Börsenmaklern und anderen Aktualitätsjunkies ähnlich geht. Meinen Geschwistern und meiner Frau dagegen geht es nicht so, obwohl auch sie einen Großteil ihrer Arbeitstage am Computer verbringen. Scheint etwas Berufsspezifisches zu sein.
Wie anstrengend es ist, ein Informations(ver)arbeiter im 21. Jahrhundert zu sein, hat Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, 2009 in seinem Buch »Payback« beklagt. Allerdings interpretierte er darin die von ihm selbst erlebte Überforderung als einen Vorboten dessen, was der gesamten Menschheit drohe: ein Informations- und Kommunikationsalbtraum, vor dem wir, fürchtet Schirrmacher, in die stählernen Arme der Maschinen flüchten werden, die dann die Herrschaft über uns übernehmen. Computer und das Internet, so seine Argumentation in extrem verkürzter Form, schaffen einen Informationswust, dessen wir nicht mehr Herr werden, überfordern uns mit dem Angebot. Die einzige Chance, die wir im Kampf gegen die Flut haben, sind, bittere Ironie, auch wieder die Computer: Nur sie und ihre Algorithmen können mit all den Daten noch umgehen. Wir geben uns in ihre Hände, gewähren ihnen Einblick in unsere Wünsche und Vorlieben, damit sie uns die richtigen Vorschläge machen, die richtigen Informationen aus dem Chaos herausfiltern. Wir machen unser eigenes Verhalten schließlich vollständig vorhersagbar. Die Maschinen und ihre Formeln übernehmen die Herrschaft über uns. Schirrmachers Buch ist von den Polemiken eines Jaron Lanier oder gar Andrew Keen weit entfernt. Er stellt wichtige, berechtigte Fragen darüber, wie wir mit der Informationsflut in unserem Alltag künftig umgehen sollen. Zum Teil jedoch macht er das Netz für Entwicklungen und Probleme verantwortlich, die aus ganz anderen Bereichen stammen.
Schirrmachers Warnung vor der vermeintlich drohenden Verhaltensvorhersagemacht von Computern und Software beispielsweise ist in Wahrheit eine Anklage gegen die wissenschaftliche Psychologie, die es seit 150 Jahren gibt. Deren erklärtes Ziel ist es, ihren Gegenstand, das Erleben und Verhalten des Menschen, zu verstehen und damit vorhersagbar zu machen. Das gilt im Übrigen gleichermaßen für jede andere Naturwissenschaft. Weil jedoch das menschliche Verhalten so komplex ist, wird das (wie in vielen anderen Wissenschaften auch) nur mit Computern gehen – eines fernen Tages. Denn bislang ist man noch weit davon entfernt. Auch Google kann das Verhalten Einzelner nicht vorhersagen, trotz aller Rechenleistung dieser Welt.
Datenschutz, das Sicherstellen von Anonymität, das Verhindern umfassender Persönlichkeitsprofile über jeden Menschen ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit, kein Zweifel. Gefahr droht aber nicht durch eine »autoritäre Herrschaft der Maschinen«, wie Schirrmacher befürchtet, sondern durch autoritäre Regime, unkontrollierte Sicherheitsbehörden und rücksichtslos agierende Unternehmen. Durch Menschen also. Vor der drohenden Machtübernahme durch Computer zu warnen, die »schon begonnen haben, ihre Intelligenz zusammenzulegen«, ein »Matrix«-meets-»Terminator«-Weltbild gewissermaßen, hilft da nicht weiter.
Es gibt für das Unbehagen, das Menschen, die nicht mit Computern aufgewachsen sind, gegenüber dem Internet empfinden, eine einfache Erklärung: Das Internet ist ein sehr unordentliches, ungeordnetes Ding – das ist lästig und gewöhnungsbedürftig, besonders für Menschen, die Ordnung lieben. Das Internet ist wie der grauenvollste überfüllte Dachboden, den man sich vorstellen kann, vollgestopft nicht nur mit den Hinterlassenschaften der eigenen Kinder, die sich jetzt weigern, das ganze
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