Nero Corleone
er ja immer noch seine gefährlichen, blitzschnellen Krallen.
Aus kleinen Augenschlitzen beobachtete Nero eine blonde Frau, die einen Stapel Wäsche in eine Kommodenschublade packte. Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und fasste sich mit einer Hand auf den schmerzenden Rücken, als sie sich wieder aufrichtete und ---
»JETZT!« dachte Nero, »jetzt sieht sie sich um, nur jetzt nicht rühren. Wachsam sein! AUFGEPASST!«
Die Frau sah ihn an, aber, fand Nero sofort heraus, nicht unfreundlich. Sie war nur halb so dick wie die Bäuerin vom Hof, sie hatte blaue Augen und schaute sehr verwundert und, wie Nero registrierte, auch bewundernd auf den schwarzen kleinen Besuch da in ihren Kissen. Nero setzte sich ruckartig auf, bereit, das »Wer-bist-du-denn«-Spiel mitzuspielen. Er machte seine grünen Augen erschrocken rund, starrte in die blauen Augen der Frau und öffnete sein niedliches rosa Schnäuzchen, um ein klägliches, an langweiligen Nachmittagen sorgfältig eingeübtes, zu Herzen gehendes MIAUOUOUOUAUO! ertönen zu lassen. Es verfehlte seine Wirkung nicht.
»Wer bist du denn?« fragte die blonde Frau gerührt und kam vorsichtig näher.
»Du liebe Güte«, dachte Nero, »wer bin ich denn, wer bin ich denn, das sieht man doch, ich bin ein schwarzer Kater.« Und er streckte ihr zutraulich sein Köpfchen entgegen.
Die Frau kniete sich vors Sofa und streichelte ihn.
»Du bist ja ein süßes Kerlchen«, sagte sie, »wo kommst du denn auf einmal her?«
»Wahrscheinlich bin ich durchs Fenster hereingeflogen«, sagte Nero, schmiegte seinen kleinen schwarzen Kopf an ihren Arm, in ihre Hand und maunzte laut.
»Hast du Hunger?« fragte die Frau und stand auf.
»Jajaja!« krähte Nero, denn Hunger, oder sagen wir: Appetit hatte er eigentlich immer, und er wusste sofort: diese blonde Puppe kann ich um die Pfote wickeln.
Die Frau ging in die Küche. Gleich sprang Nero vom Sofa, trippelte hinter ihr her, rieb sich an ihrem Bein und maunzte noch einmal, so rührend er nur konnte. Die Frau öffnete den Kühlschrank, holte eine kleine Dose heraus und schüttete ein wenig Milch auf einen Teller. Sie ließ ein bisschen warmes Leitungswasser dazu, verrührte alles mit dem Zeigefinger und sagte: »So ist es nicht zu kalt für dein Bäuchlein.«
»Bäuchlein, pah!« dachte Nero, »was weißt denn du von meinem Bäuchlein, nun mal endlich runter mit dem blöden Teller!« Und er stellte sich auf die Hinterbeine, machte sich ganz lang und angelte mit den Vorderpfoten so kräftig nach dem Teller, mit dem die blonde Frau sich ihm entgegen bückte, dass ein paar Tropfen Milch verschüttet wurden.
Noch ehe der Teller ganz auf den Küchenfliesen stand, hatte Nero schon seine rosa Zunge eingetaucht und schlappte und trank.
»Du bist aber stürmisch!« lachte die Frau, und Nero dachte: »Was meinst du denn, wen du hier vor dir hast, den heiligen Antonius?« und leckte den Teller blitzeblank.
Die blonde Frau ging zur Wohnzimmertür und rief: »Robert, komm mal gucken, was für einen niedlichen Besuch wir haben!«
»Robert?« dachte Nero, »aufgepasst, wer ist denn nun wieder Robert?«, und er musste rasch an den Bauern denken, der wütend seine Gummischuhe nach ihm warf.
Robert war ein baumlanger Mensch mit einer dicken Brille und einer Zigarre im Mund. Er näherte sich der Küche, und Nero sicherte sich aus den Augenwinkeln rasch einen Fluchtweg.
»Wo kommt der denn her?« brummte der Mann. »Er lag auf dem Sofa«, sagte sie, »und der arme kleine Kerl hatte Hunger, ich hab ihm ein bisschen Milch gegeben.«
»Wenn er Hunger hat, musst du ihm was Richtiges zu essen geben«, sagte Robert, »ist denn von den Wurstbroten nichts mehr da?«
»Robert, du bist in Ordnung«, dachte Nero vergnügt, und die Frau sagte: »Wurstbrote! Eine Katze frisst doch keine Wurstbrote!«
»Die Brote könnt ihr euch schenken«, dachte Nero, »aber nur immer her mit der Wurst!« Und er stieß einen langen, äußerst kläglichen Jammerlaut aus.
»Siehst du, er hat Hunger«, sagte Robert. »versuch‘s mal mit einem Wurstbrot.«
»Wieso er?« fragte sie, und wühlte in einer Reisetasche, die noch unausgepackt auf dem Küchentisch stand.
»Das ist ein Kater«, sagte Robert, »das seh ich.« Er bückte sich, blies Nero ekelhaften Zigarrenrauch ins Gesicht und sah ihm unter den Schwanz. »Kater«, nickte er, und Nero quäkte empört.
Die Frau hatte inzwischen ein Butterbrot aus einem knisternden Papier gewickelt und fing an, es in den
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