Nero
Witterung.
In der Frühe des folgenden Tages erhob sich ein Sturm, der nun binnen wenigen Stunden dem Brand eine Ausdehnung gab, die alle bisherigen Operationen nutzlos erscheinen ließ. Wie ein Heer fackelschwingender Furien raste das Unheil über Theater und Tempel, über die Prachtgebäude der Via Lata und die niederklirrenden Kaufhallen des Argiletums. Die fieberdumpfe Subura schwelte in gleicher Lohe wie die gärtenumringten Lusthäuser der regierenden Konsuln und der vornehm-ernste Palast des Pontifex Maximus.
So weit das Auge reichte: nichts als tiefrote Gluten, weißleckende Flammen, schaurig bestrahlte Rauchwirbel, die, von der Windsbraut gepeitscht, in östlicher Richtung zum Firmament sausten. Unerschöpflich blitzte und zischte und qualmte es aus den hunderttausend Vulkanen hervor, die ehedem Rom geheißen. Die Luft dröhnte und zitterte, wie von unterirdischen Donnerschlägen; die versengende Hitze warf alles Leben, das von dem Hauch des gigantischen Hochofens überströmt wurde, augenblicklich zu Boden.
Die Verzweiflung des gepeinigten Volkes hatte nunmehr den äußersten Grad erreicht. Wild-gelles Geschrei, wie von plötzlich Verrücktgewordenen, durchtobte die noch unzerstörten Regionen. Drohendes Wutgebrüll mischte sich unter die kreischenden Angstrufe.
Die Opfer an Menschenleben zählten nach Tausenden.
Furchtbare Einzelheiten gingen von Mund zu Mund.
Ein ganzes Häuserquadrat war so jählings von den Flammen umzingelt worden, daß sämtliche Insassen – Kinder, Kranke und Greise – bei lebendigem Leibe verbrannten.
In der Subura stürzten viele der schlechtkonstruierten Mietsgebäude schon ein, wenn das benachbarte Haus zu weichen anhub. Dutzende der ärmlichen Inquilinen, die sich abmühten, ihre Habe zu retten, wurden so von den Balken und Wandfüllungen erschlagen, oder, was gräßlicher war, unter den furchtbarsten Qualen festgeklemmt, bis der glühende Schwalch sie erstickte oder das Glimmen des Schuttes langsam ihre halbzerschmetterten Glieder verzehrte.
Die Ungeheuerlichkeit der Gefahr, die sinnlose Angst vor der entsetzlichsten aller Todesarten hatte Scenen herbeigeführt, deren Scheußlichkeit alles in Schatten stellte, was die blutbeträufte Verbrecherin Roma jemals erlebt hatte.
Söhne zertraten ihre wimmernden Väter, um sich empor zu der rauchumzitterten Luke zu schwingen, die allein noch die Möglichkeit des Entrinnens bot.
Mütter warfen ihre schreienden Kinder, die sie am Busen hielten, aufheulend in die Flammen, um so die Arme für die Zertrümmerung einer brennenden Wand frei zu bekommen.
Kurz, alle Bande des Herzens, der Natur, des Gesetzes erwiesen sich als gelöst vor der wahnsinnig-erregenden Uebermacht der tosenden Elemente.
Das Ende der Welt schien nahe zu sein.
Viele Bürger stürzten sich freiwillig in die Glut, entweder hingerissen von jener dämonischen Zauberkraft, die den schauder-erfüllten Wanderer in die Tiefe des Abgrunds reißt, oder in zielbewußtem Todesverlangen, um nicht Zeuge zu sein des Untergangs der, ach, so unsäglich geliebten Roma.
Zehntes Kapitel
Wer, wer hatte die Stadt aller Städte so heimgesucht? War dies alles ein Zufall? Schien es denkbar, daß die Verwüstung so kunstgerecht vorschritt? Erst der Hauptbrand drüben am Aventinus, dann an drei verschiedenen Punkten die Hilfsbrände, die dem Hauptbrand die Hände reichten, bis alles ein einziges himmelanloderndes Chaos war: – schien ein so systematischer Untergang der göttlichen ›Arestochter‹ begreiflich, wenn man nicht annahm, ein klarbewußter leitender Wille habe das Ganze ins Werk gesetzt?
Aber wo fand man den Urheber, um ihn zerreißen, zerbrechen, zermalmen zu können? Wo seine giftgeschwollenen, tückischen Mitverbrecher?
Einer mußte es wissen, einer, der allenthalben die tausend und abertausend Augen und Ohren seiner Beamten, seiner Sicherheitswachen, seiner Soldaten und Späher hatte: der Kaiser!
In der That sammelte sich das Volk, da eben die Nacht hereinsank, immer zahlreicher, immer dichter um das mäcenatische Haus, dessen gesicherte Lage ohnehin Schutz bot gegen die unerträgliche Brandhitze. Die Prätorianer hatten die größte Mühe, die verzweifelten Frager zurückzudrängen.
»Claudius Nero soll antworten!« brüllte ein Spendenempfänger. »Er ist der Herr und Gebieter: er muß uns beschützen. Hört man nichts von Verhaftungen? Ist niemand gestäupt, geblendet, gekreuzigt worden? Wir verlangen Gerechtigkeit! Die Buben und Mordbrenner sollen
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