Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nero

Nero

Titel: Nero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Eckstein
Vom Netzwerk:
nicht länger straflos umherlaufen! Wo sind die Rutenbündel? Die Beile? Die Henkersknechte?«
    »Narr!« flüsterte ein junger Aristokrat, und legte dem volksrednerisch veranlagten Proletarier die Hand auf die Schulter.
    »Was soll's?«
    »Nun, ich meine, du schwatzest Unsinn. Oder sagtest du nicht: ›Catilina, straf uns den Catilina!‹«
    Der Spendenempfänger schaute dem Unbekannten starr ins Gesicht.
    »Wer bist du?« fragte er lauernd.
    »Einer von denen, die sich nicht täuschen lassen. Zum wenigsten habe ich vortreffliche Augen. Ich sah's mit an, wie die Stadtsoldaten die Wohnung des Dichters Lucanus eigenhändig in Brand setzten . . .«
    »Ich auch,« bemerkte ein Ritter mit breitem Goldring. »Alle Bürger sind sich ja vollständig klar darüber: der Kaiser selbst . . .«
    »Was? Was?« erklang es im Chore.
    »Nun, das alles war doch Komödie –: die Bestürzung bei seiner Ankunft, die Belohnungen, die er aussetzte . . . Er selber und er allein . . .«
    »Still! Du redest dich ins Verderben!«
    »Besser tot,« sagte der vornehme Jüngling, »als hilflos weiterleben unter der Herrschaft des Bluthunds. Wie haben seine elenden Kreaturen gehaust! Ganze Regionen sind von der prätorianischen Leibwache ausgeraubt worden. Ohne den Brand wäre der Spaß nicht möglich gewesen . . . Ihr sucht den Mordbrenner, um ihn ans Kreuz zu schlagen? Dort hinter den Spießen der Garde, hinter den Mauern dieses verruchten Hauses schwelgt er im Cäcuber, während die herrliche Roma sterbend in Asche sinkt!«
    »Nero,« ging es heimlich von Mund zu Mund, »Nero ist der Urheber dieses Verderbens . . .«
    »Aber weshalb . . .? Was bezweckte er . . .?«
    »Nur die Missethat. Nichts von allem, was er bis jetzt gefrevelt, war ihm riesig genug. Könnte der Erdboden Feuer fangen, er hätte ganz Europa in Brand gesteckt.«
    »Und bedenkt seine Eitelkeit! Herostrat zerstörte den Tempel zu Ephesus. Nero warf achthundert Jahre weltgeschichtlichen Ruhms in den Staub. So viel größer ist er als Herostrat.«
    »Wißt ihr nicht, daß er im vorigen Herbst schon zu Poppäa gesagt hat: ›Wenn du erst Kaiserin bist, will ich die alte Urbs dir hinwegfegen und eine neue erbauen, stolzer, prächtiger und deiner wonnevollen Umarmungen würdiger!‹«
    »Jawohl! Und Neronia sollte sie heißen, die neu zu gründende Stadt, damit der Affe des Romulus auf die Nachwelt käme . . .«
    »Ist's jemals erhört worden?« riefen zehn, zwanzig, dreißig Stimmen zugleich. »Ein Mordbrenner auf dem Throne? Fluch dem Weltverderber! Nieder mit dem Verruchten! Er hat den Tod verdient!«
    Der jugendliche Aristokrat und der Eques waren bereits im Getümmel wieder verschwunden, um anderwärts das unheilvolle Gerücht von der Urheberschaft Neros im Volke weiter zu tragen. Beide gehörten jener Verschwörung an, die von der Kaiserin Agrippina beinah entdeckt worden wäre, als sie damals durch ihren Vertrauten Pallas das Haus des Sachwalters Lucius Menenius besetzen ließ. Auf jenem Punkt verzweifelter Bitternis angelangt, wo man jedes Mittel der Agitation für erlaubt hält, griffen die Mitglieder jenes Geheimbundes überall die Gelegenheit auf, den Tyrannen und seine Werkzeuge zu verdächtigen. Wirksamer aber als jetzt konnte der Hebel nicht angesetzt werden. In der That hatten die Prätorianer und Stadtsoldaten sich hier und da einer Ausschreitung schuldig gemacht; auch mochte es wahr sein, daß Nero in seiner tollen Verliebtheit geäußert hatte, das Rom des Augustus sei einer Kaiserin wie Poppäa nicht würdig. Alles dies bauschte man auf, gruppierte die Einzelheiten, erfand und erlog, was immer dem Ziel, das man anstrebte, dienlich erschien – und so lief denn allgemach das Gerücht, das ungeachtet seiner greifbaren Absurdität noch jahrhundertelang von der Menschheit geglaubt wurde: der Zerstörer der Weltstadt sei Nero, der da die Absicht gehabt, sich und seiner Poppäa ein riesenhaftes, ein grausig-glänzendes Schauspiel zu leisten.
    Nichts ahnend von diesem Gerücht, stand Nero mit Poppäa Sabina auf der Plattform des Turmes und starrte hinaus in das rauschende, rollende, rasende Flammenmeer. Goldrotes Feuer ringsum, – Millionen himmelan zuckender Glutgebilde, endlose Schlangen, die sich in tausendfältigen Windungen prasselnd dahinwälzten, unterweltliche Drachen mit schwellenden Riesenleibern, vulkanische Ausbrüche aus zahllosen unerschöpflichen Kratern.
    Die furchtbare Schönheit dieses niemals erlebten Anblicks überwältigte ihn.

Weitere Kostenlose Bücher