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Nero

Nero

Titel: Nero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Eckstein
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übertrumpfen.
    Die Christen, die heute abend, dem Volk zum ergötzlichen Schauspiel, in den cäsarischen Gärten am Mons Vaticanus zu Tode gequält werden sollten: sie mochten, wenn ihre Marter den Gipfel erreicht hatte, dem waltenden Kaiser bezeugen, ob er der Aufgabe, die er sich vorgesetzt hatte, gewachsen war.
    Ja, er haßte die Christen! Ihre Lehre schien ihm jetzt ebenso thöricht, so zweck- und sinnlos, wie die stoischen Philosopheme des Seneca. Diese erbärmliche Welt, die ihm hier aus den schaurigen Trümmern der ›Arestochter‹ ein so lautes Verdikt ihrer eigenen Unvernünftigkeit zurief, lohnte weder den Ernst noch die Selbstbeherrschung. Greifbar und echt war lediglich der Genuß: philosophisch-mystische Spekulationen, die ja doch dem entsetzlichen Rätsel nie auf den Grund drangen, konnten die Echtheit und Greifbarkeit nur beeinträchtigen. Nicodemus und Seneca flossen dem Imperator gleichsam in eine einzige unheilbringende, hagere Gestalt zusammen. Wie unablässig hatte ihm Seneca in den Ohren gelegen mit seinen volltönigen Phrasen von der sittlich-freien Entwickelung der Menschheit, von der abstrakten Pflicht, von dem Hochgefühl der Entsagung! Es war geradezu unerträglich!
    »Die Wahnwitzigen!« murmelte Nero, nach Osten starrend, wo ein gelblicher Lichtstreif das Erwachen des Tages verkündete. »Was ist Tugend! Einen duftigen Becher unberührt stehen zu lassen, obgleich die Seele danach verschmachtet! Tantalus nach eigener, freier Entschließung! Wer dankt mir's denn, ihr hirnverbrannten Heuchler und Narren? Wenn ich nun wirklich eurer Lehre gehorchte, stünde ich deshalb weniger unter dem Banne des Daseins? Hätte ich minder die Krankheit zu fürchten und den alles zerbrechenden Tod?«
    Er seufzte.
    »Wahrlich, der Tod ist noch nicht einmal das Entsetzlichste! Hassenswerter scheint mir der Fluch, altern zu müssen! Das gierige Greisentum, das sich boshaft an unserm Blut mästet, bis wir selber zum spotterregenden Schatten dahinschwinden, – welch ein Dämon hat es ersonnen? Was da schön ist und blühend auf dieser Erde, was da jubelt und jauchzt –: die Zeit wird ihm die Frische und Kraft aus den Adern saugen, und der erbärmliche Rest gleicht diesen Trümmern hier! Alt zu werden! Heimlich zu fühlen, wie der schwellende Arm, der deinen Nacken umwindet, nicht mehr so wonnevoll und so selig erbebt wie der deine! Zu merken, daß die schmelzende Zärtlichkeit Heuchelei, daß der Kuß, die Verzückung der schmachtenden Augen Komödie ist! Nicht du, Claudius Nero, wirst dann mehr geliebt werden, sondern der mächtige Kaiser, dein fürstliches Prunkgewand, dein Scepter, deine unermeßlichen Reichtümer! Wie dort drüben das ehedem so stolze Palatium, wirst du einst nur noch die fahle Ruine sein von dem, was du warst, – hohläugig, welk, das Antlitz gefurcht, ein Abscheu selbst für die Dirnen vom Walle des Tullius!«
    Er legte die Hände über die Augen, als habe er das Bild seiner Zukunft schon leibhaftig erblickt.
    »Und das ahnen sie alle voraus!« dachte er ingrimmig. »Seneca erlebt es schon an sich selbst. Er fühlt, wie der Brand seiner Lebensglut Funke um Funke verlischt, – und dennoch ging er mit Nicodemus ans Werk, mich blind zu machen gegen die einfache, unverkennbare Wahrheit! Ich sollte die flüchtigen Stunden der Jugendkraft mit asketischer Philosophie vertrödeln, statt mich der Gegenwart hinzugeben, und das Licht zu genießen, solange es Tag ist! Ich sollte ein Cäsar werden für die Anhänger des Gekreuzigten!«
    Er beugte sich über die marmorgedeckte Brüstung und stützte das Haupt in die Hand. Ein wehmütiges Zucken spielte um seinen Mund. Weitgeöffneten Auges sah er hinaus in das beginnende Morgenrot.
    »Ja, auch ich erblicke in eurem Propheten ein wahrheitsvolles Symbol: seine dornenbekränzte Gestalt verkörpert mir das traurige Los alles Irdischen. Wir alle sind vom Fluch des Schicksals an jenes furchtbare Kreuz genagelt, das Erde heißt. Wir alle werden, früh oder spät, an diesem Marterholze verbluten, und zuckenden Angesichts wie der sterbende Galiläer zum Himmel rufen: ›Hoffnung, du, Trügerin alles dessen was atmet, und du, unsterblicher Mut, warum hast du mich nun verlassen?‹ Jesus mit seinem trostlosen Ausgang ist der duldende Mensch. Weil dieser Ausgang aber gewiß ist, soll ich mir deshalb die Qual meiner Wanderschaft noch vergrößern? Soll ich trauern, wo ich vergessen, soll ich entsagen, wo ich erobern kann? Nein, ihr Asketiker! Dann lieber gleich

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