Nervenflattern
Ich glaube aber nicht, dass Terroristen am Werk sind. Die würden kommen, das Zeug freisetzen, uns beim Zählen der Toten zusehen und einen Bekennerbrief abgeben.«
Es klopfte an der offenen Tür und Ludger Brandt kam herein.
»Kriege ich auch einen Kaffee?«
Hain stand auf und ging zur Tür.
»Ich hol dir einen.«
»Danke.«
Der Kriminalrat setzte sich und schlug die Beine übereinander.
»Habe ich euch bei was gestört?«
»Nein, RW hat eine Türkin gefunden, die im Februar einen Unfall im City-Point hatte. Vielleicht war es aber auch kein Unfall. Wir haben gerade über die Exhumierung gesprochen und ich wollte den OB anrufen, damit er sich um die Genehmigungen kümmert.«
Gecks teilte dem Kriminalrat die weiteren Einzelheiten mit, während Lenz die Nummer des Bürgermeisters wählte.
»Sekretariat Oberbürgermeister Zeislinger, Schäfer, guten Tag«, meldete sich eine Frauenstimme.
»Hauptkommissar Lenz, guten Tag Frau Schäfer. Kann ich den Bürgermeister sprechen?«
»Der Herr Oberbürgermeister ist im Gespräch.«
Sie betonte das Ober des Bürgermeisters so, als wolle sie Lenz auf einen Fehler im Diktat aufmerksam machen.
»Aber ich werde fragen, ob er mit Ihnen sprechen möchte.«
Dann hörte Lenz ein kurzes Knacken, gefolgt von einer Melodie.
›Für Elise auf der Maultrommel‹, fiel ihm dazu ein. Dann ertönte wieder ein Geräusch und die Stimme des OB.
»Herr Kommissar, hallo. Dass ich so schnell wieder von Ihnen höre, hätte ich nicht gedacht. Aber Sie müssen sich einen kleinen Moment gedulden, nicht, meine Frau ist hier und wollte sich eben verabschieden.«
Lenz wurden die Knie weich. Er hörte Marias Stimme, konnte jedoch nichts verstehen, weil Zeislinger die Sprechmuschel mit der Hand zuhielt. Dann war der OB wieder am Telefon.
»So, jetzt bin ich wieder da, nicht. Was kann ich für Sie tun, Herr Kommissar?«
Lenz erklärte ihm den Grund seines Anrufes und bat ihn um Hilfe bei der Exhumierung der Türkin, verschwieg aber die Vorgänge um Dieter Brill.
»Und Sie meinen wirklich, der Tod der armen Frau könnte etwas mit dem Schreiben zu tun haben?«
»Wir werden Genaueres wissen, wenn wir die Leiche obduziert haben, Herr Zeislinger, aber dazu müssen wir sie zuerst exhumieren.«
»Nun ja, wenn das so ist, dann werde ich mit den zuständigen Leuten telefonieren. Ich bin als Bürgermeister weisungsbefugt, nicht. Sie können schon anfangen, wenn jemand Schwierigkeiten macht, berufen Sie sich auf mich.«
»Danke, Herr Bürgermeister. Und ein schönes Wochenende wünsche ich Ihnen.«
Lenz wollte damit das Gespräch möglichst elegant beenden, aber Zeislinger hatte andere Pläne.
»Schönes Wochenende ist gut gesagt, Herr Kommissar. Wie ich vor einer Stunde erfahren habe, ist der Innenminister mit Nierensteinen ins Krankenhaus eingeliefert worden, nicht. Eigentlich wollte er in Berlin die chinesische Handelsdelegation begleiten und den Besuch hier in Hessen in der kommenden Woche vorbereiten. Daraus wird nun nichts. Und weil die Chinesen hier im Kasseler Raum viel Geld investieren wollen, hat man mich zu seinem Vertreter berufen. Ich bin praktisch schon auf dem Weg nach Berlin.«
Das ist doch mal eine gute Nachricht, dachte Lenz.
»Wie schade, Herr Zeislinger«, heuchelte er, »aber wenn die Pflicht ruft …«
»So ganz schlimm ist es auch nicht, Herr Kommissar, Berlin ist ja schließlich eine wunderschöne Stadt.«
»Durchaus.«
Zeislinger hielt Lenz noch einen kleinen Vortrag über die Vorzüge der Berliner Restaurantszene.
»Und wenn etwas sein sollte, können Sie mich auch über mein Handy erreichen.«
Lenz notierte die Nummer, verabschiedete sich und legte auf.
Im gleichen Moment meldete sein Mobiltelefon mit einem kurzen Klingelton den Eingang einer SMS.
»Du hast freie Bahn«, erklärte er dem wartenden Gecks.
»Ich habe es befürchtet. Es ist Freitagnachmittag, ich habe seit einer halben Stunde Feierabend und werde mir den Rest des Tages auf dem Friedhof die Beine in den Bauch stehen. Soll die Leiche gleich nach Göttingen gebracht werden?«
»Sofort, ja. Die Feuerwehr soll sie so einpacken wie den anderen.«
Gecks verabschiedete sich. In der Tür begegnete ihm Hain, der mit einem sehr gut gefüllten Becher dampfenden Kaffees balancierte. Er stellte ihn auf den Schreibtisch und nahm seine Jacke vom Stuhl.
»Ich mach jetzt Feierabend, wenn die Herren nichts dagegen haben.«
Lenz und Brandt schüttelten die Köpfe.
»Wenn du wieder durch die Stadt rasen willst
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