Nervenflattern
A 49 in Richtung Fritzlar unterwegs. Am Kreuz Kassel West dachte er an Dieter Brill, der vor ein paar Tagen hier unterwegs gewesen war und nun obduziert wurde. Bei Gudensberg verließ er die Autobahn, um die letzten Kilometer bis Fritzlar auf der Bundesstraße zu fahren. Lenz mochte die kleine Fachwerkstadt mit ihren engen Gassen und schönen, oft schiefen Häusern. Er hatte vor einigen Jahren hier in einer Mordsache zu tun gehabt und sich richtiggehend in diese Idylle verliebt.
Der Parkplatz hinter der Raiffeisenbank war leer, wie immer, wenn er um diese Zeit ankam. Mit seinen Utensilien auf dem Arm überquerte er den Marktplatz mit dem Brunnen in der Mitte und war fünf Minuten später in der Praxis.
Maria kam um halb 10. Er öffnete ihr die Tür nach dem vereinbarten Läuten und nahm sie in den Arm.
»Es tut mir leid.«
»Dass du zu spät oder so zickig bist?«
Sie küsste ihn sanft auf den Mund und fuhr ihm mit der Hand über den Nacken.
»Irgendwie beides.«
So standen sie mehrere Minuten im Flur der Praxis und hielten sich umschlungen.
»Kaum zu glauben, dass ich dich erst gestern gesehen habe. Wenn Erich nicht nach Berlin gemusst hätte, wäre ich an diesem Wochenende treusorgende Ehefrau gewesen.«
Lenz dachte an ihr Verhalten vom Nachmittag.
»Hast du Ärger gehabt?«
»Ja, als ich ihn im Rathaus gesehen habe. Aber das muss uns jetzt nicht interessieren.«
»Ich habe dich gehört.«
Sie machte sich von ihm los und sah ihn entgeistert an.
»Wie meinst du das, du hast mich gehört?«
»Komm, wir gehen nach drüben. Ich habe Champagner im Eisfach und was zu essen. Dann erkläre ich dir alles.«
Sie ging vor ihm her in den Ruheraum der Praxis, der für ihre Zwecke ideal war. In der Ecke stand eine große, ausziehbare Couch, auf der sein Freund Christian die Mittagspausen verschlief. Dorthin zogen sie sich zurück, wenn sie miteinander schlafen wollten, was mit ganz wenigen Ausnahmen jedes Mal passierte, wenn sie sich trafen. In der Mitte des Raumes standen ein Tisch und vier bequeme Stühle, die Christian für Besprechungen oder zum Essen benutzte. Im Winter konnten sie sich in der kleinen Teeküche mit einem Wasserkocher Tee oder Kaffee zubereiten.
Lenz ging zum Kühlschrank und nahm den Champagner aus dem Eisfach, Maria zog ihre Schuhe aus und legte sich auf die ausgezogene Couch. Er sah ihr mit breitem Grinsen zu.
»Da könnte was draus werden.«
Sie strahlte ihn an und knöpfte ihre Bluse auf.
»Worauf du dich verlassen kannst.«
Als er mit zwei gefüllten Gläsern in den Händen bei ihr ankam, hatte sie schon die Bluse und den Rock ausgezogen und lag, nur mit einem aufregenden Einteiler bekleidet, auf dem Rücken und sah ihn herausfordernd an. Er stellte die beiden Gläser auf den Boden, zog sein Hemd über den Kopf und ließ sich neben sie fallen. Sie griff von hinten über seine Schultern und streichelte seine Brustwarzen.
»Das wird ein böses Ende nehmen«, stöhnte er.
»Hoffentlich.«
Während der nächsten eineinhalb Stunden nahmen beide nichts wahr außer der Lust auf den anderen. Dann lagen sie restlos erschöpft nebeneinander. Lenz hielt eine Zigarette in der Hand, an der sie beide abwechselnd zogen. Das Licht eines Werbeschildes auf der anderen Straßenseite tauchte den Raum in kitschiges Hellblau. Aus einem kleinen Kofferradio klang leise Musik, die Luft war erfüllt von Zigarettenqualm und dem Geruch nach Sex .
»Mhhmmm«, summte sie leise.
»Was meinst du?«
»Womit?«
»Mit deinem Mhhmmm?«
»Das drückt aus, dass ich es gerade unglaublich gut besorgt gekriegt habe. Mit allem, was an dir so gewachsen ist.«
»Soso.«
Lenz hatte sich, besonders zu Beginn der Liaison, zuerst an ihr Vokabular während und nach dem Sex gewöhnen müssen. Nachdem er es zunächst als vulgär empfunden und es ihn gestört hatte, fand er mit der Zeit sogar Gefallen daran.
Sie kraulte mit der linken Hand seine immer grauer werdenden Brusthaare. Plötzlich hob sie den Oberkörper, setzte sich aufrecht und sah ihn erwartungsvoll an.
»Und woher wusstest du nun, dass Erich nach Berlin fahren würde? Und wie meintest du das vorhin?«
»Ganz einfach.«
Und dann erzählte er ihr seinen ganzen Tag, bis hin zu dem Moment, in dem er sie in Erich Zeislingers Büro sprechen gehört hatte.
»Für mich bist du ab jetzt das Phantom des Krematoriums, soviel ist klar, aber wieso kam Erich denn mit dem Schreiben zu dir? Du bist bei der Mordkommission, und er konnte doch nicht ahnen, dass der Tod
Weitere Kostenlose Bücher