Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
ja?«
»Ellem.« Harry lächelte. »Das ha t mich natürlich zuers t Ivar Løken verdächtigen lassen. Sein Spitzname im Vietnamkrieg war nämlich LM. Aber die Lösung ist noch banaler.«
Liz legte die Hände hinter den Kopf. »Ich gebe auf.«
»Wenn man Ellem von hinten liest, wird daraus Meile. Das ist Hilde Molnes’ Mädchenname.«
Liz starrte Harry an, als wäre er eine Attraktio n im zoologi-schen Garten.
»Verdammt, du bist echt nicht ganz normal«, murmelte sie.
Jens blickte auf die Papaya, die er in der Hand hielt.
»Wissen Sie was, Løken? In dem Moment, in dem man in eine Papaya beißt, riecht es immer n ach Erbrochenem, haben Sie das schon einmal bemerkt?«
Er schlug die Zähne ins Frucht fleisch. Der Saft rann ihm über das Kinn.
»Und dann schmeckt’s nach Fotze.« Er legte den Kopf in den Nacken und lachte.
»Wissen Sie, eine Papaya kostet hier in Chinatown 5 Baht –
das ist fast nichts. Jeder kann sich das leisten, Papaya zu essen ist eine der sogenannten einf achen Freuden. Und wie alle 405
anderen einfachen Freuden weiß m an sie nicht zu schätzen, solange man sie hat. Das ist wie …«
Jens fuchtelte mit der Hand vor sich herum , als suche er nach einer passenden Analogie.
»… sich selbst den Arsch abzuwischen. Oder zu wichsen. Das Einzige, was man dafür braucht, ist eine intakte Hand.«
Er hob Løkens abgehackte Hand am Mittelfin ger hoch u nd hielt sie ihm vor das Gesicht.
»Eine haben Sie noch. Denken Sie darüber nach. Und denken Sie an all das, was Sie ohne Hände nicht mehr machen können.
Ich habe mir schon ein paar Gedanken darüber gem acht, ich
kann Ihnen da gerne helfen. Sie können keine Apfelsine mehr schälen, keinen Köder m ehr an einen Angelhaken stecken, Sie können keine Frau mehr liebkosen oder Ihre eigene Hose zuknöpfen. Ja, Sie können sich ni cht mal mehr selbst erschie-
ßen, falls Sie Lust dazu haben sollten. Sie brauchen Hilfe für alles. Für alles, denken Sie daran.«
Blutstropfen sickerten aus se iner Hand und tropften auf den Rand des Tisches, so dass Løkens Hemd kleine, rote Spritzer bekam. Jens legte die Hand we g. Die Finger zeigten an die Decke.
»Andererseits gibt es keine Gr enzen dafür, was m an mit zwei gesunden Händen anstellen kann. Man kann einen Menschen, den man hasst, erwürgen, den Pott zu sich ziehen, der auf de m Tisch liegt, und einen Golfschläg er umklammern. Wissen Sie, wie weit die medizinischen Möglichkeiten mittlerweile gediehen sind?«
Jens wartete, bis er s ich sicher war, dass Løken nicht antworten würde.
»Die können eine Hand wieder annähen, ohne dass auch nur ein Nerv zerstört wird. Sie gehe n bis weit in Ih ren Arm hinein und ziehen die Nerven wie Gumm ibänder nach unten. Nach sechs Monaten werden Sie kaum noch spüren, dass sie einma l 406
ab war. Natürlich hängt das da von ab, ob Sie schnell genug zu einem Arzt kommen und daran gedacht haben, die Hand auch mitzunehmen.«
Er ging langsam um Løkens Stuhl herum, legte das Kinn auf seine Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: »Gucken Sie m al, was für eine schöne Hand, finden Sie nicht auch? Fast wie die Hand auf diesem Bild von Michelangelo, wie heißt das noch mal?«
Løken antwortete nicht.
»Das aus der Levi’s-Werbung. Sie wissen schon.«
Løken hatte seinen Blick auf eine n Punkt in der Luft vor sich geheftet. Jens seufzte.
»Wir sind wohl beide keine großen Kunstkenner, oder? Nun, vielleicht kaufe ich m ir ein paar bekannte Bilder, wenn all das hier vorbei ist, v ielleicht kann d as ja m ein Interesse anregen.
Apropos vorbei, was glauben Sie, wie lange dauert es, bis es zu spät ist, so eine Hand wieder anzu nähen? Eine halbe Stunde?
Eine Stunde? Vielleicht länge r, wenn wir sie auf Eis legen würden, aber das ist uns heute leider ausgegangen. Zu Ihrem großen Glück braucht m an von hi er bis zum Answut-Hospital nur eine Viertelstunde.«
Er holte Luft, legte den Mund an Løkens Ohr und brüllte:
»WO SIND HOLE UND DIESE FRAU?«
Løken zuckte zusamm en und öffnete seinen Mund zu einem schmerzverzerrten Grinsen.
»Tut mir leid«, sagte Jens. Er nahm ein Stückchen orangenes Fruchtfleisch von Løkens W ange. »Es ist nur so, dass es für mich nicht ganz unwichtig ist, sie zu finden. Ihr drei seid schließlich die Einz igen, die kapiert ha ben, wie das alles zusammenhängt, nicht wahr?«
Ein heiseres Flüstern kam über die Lippen des alten Mannes:
»Sie haben recht …«
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»Was?«, fragte Jens. Er beugt e sich vor
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