Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
tatsächlich folgten.
Der Taxifahrer bem erkte instinktiv, dass der farang auf der Rückbank kein Tourist war, und verkniff sich die W erbung für die Massagesalons. Doch als Løke n ihn bat, ein paar Umwege zu fahren, schien der F ahrer seine Auffassung zu revidieren.
Løken begegnete seinem Blick im Spiegel.
»Sightseeing, sil? «
»Ja, Sightseeing.«
Nach zehn Minuten gab es keinen Zweifel mehr. Das Ziel war vermutlich, dass Løken die beiden Polizis ten zu ihrem heimli-chen Treffpunkt führte. Er fragte sich nur, wie der Polizeichef überhaupt Wind davon bekomm en hatte, dass sie sich treffe n wollten. Und warum er so negativ darauf reagierte, dass seine Hauptkommissarin gegen alle Regeln m it einem Ausländer zusammenarbeitete. Das Ganze verlief vielleicht nicht ganz nach Lehrbuch, aber es hatte schließlich zu Resultaten geführt.
Auf der Sua Pa Road kam der Verkehr schließlich ins Stocken.
Der Fahrer drückte sich in eine Lücke hinter zwei Bussen und zeigte auf die Betonständer, die zwischen den Spuren gebaut wurden. Ein Stahlträger war in der letzten W oche heruntergefal-len und hatte einen Autofahrer getötet. Er hatte davon gelesen.
Sie hatten sogar ein Bild davon gedruckt. Der F ahrer schüttelte den Kopf, nahm einen Lappen und wischte das Ar maturenbrett ab, die Fenster, die Buddhafigur und das Bild der Königsfamilie, ehe er mit einem Seufzer die Zeitung aufschlug und den Sport-teil suchte.
397
Løken sah aus dem Rüc kfenster. Nur zwei Autos lagen zwischen ihnen und dem Corolla. Er sah auf die Uhr. Halb acht. Er würde sich verspäten, auch ohne diese zwei Idioten abschütteln zu müssen. Løken fällte eine Entscheidung und tippte de m Fahrer auf die Schulter.
»Ich sehe da jem anden, den ich kenne«, sagte er auf Englisch und gestikulierte nach hinten.
Der Fahrer sah skeptisch aus, vermutlich hatte er den farang unter Verdacht, ihn prellen zu wollen.
»Bin gleich wieder da«, sagte Løken und drückte sich aus der Tür. Einen Tag weniger zu lebe n, dachte er, als er eine CO 2-Dosis einatmete, die eine Ra ttenfamilie ausgeknockt hätte, und ging ruhig auf den Corolla zu.
Der eine Scheinwerfer war
scheinbar beschädigt, denn er leuc htete ihm direkt ins Gesicht.
Er überlegte sich, was er sagen wollte, und freute sich bereits auf ihre langen Gesichter. Løken war nur noch wenige Meter entfernt und konnte die zwei im Wagen erkennen. Mit eine m Mal wurde er unsicher. Etwas an ihrer E
rscheinung stimmte
nicht. Auch wenn Polizisten oft nicht gerade zu den hellsten gehörten, hatten sie in der Rege l verstanden, dass Diskretion beim Observieren das oberste Gebot war. Der Mann auf de m Beifahrersitz trug eine Sonnenbr ille, obgleich die Sonne längst untergegangen war, und auch we nn viele Chinesen in Bangkok Zöpfe auf dem Kopf hatten, war dieser Riese auf dem Fahrersitz geradezu Aufsehen erregend. Løken wollte k ehrtmachen, als sich die Tür des Corollas öffnete.
» Mistel « , rief eine weiche Stimme. Es war vollkommen falsch.
Løken versuchte, zurück zum Taxi zu kommen, doch ein Auto hatte sich in eine Lücke gequetscht und versperrte ihm den Weg.
Er drehte sich um und ging zurück zum Corolla. Der Chinese kam auf ihn zu. » Mistel « , wiederholte er, als s ich der Verkehr auf der gegenüberliegenden Spur wieder in Bewegung setzte. Es hörte sich wie das Flüstern eines Orkans an.
398
Løken hatte einmal einen Mann m it den bloßen Händen getö-
tet. Er hatte seinen Kehlkopf mit einem Handkantenschlag gebrochen, genau wie er es im Trainingslager in Wisconsin gelernt hatte. Doch das war lange her, damals war er jung gewesen. Und lebensmüde. Jetzt war er nicht m ehr lebensmüde, nur noch zornig.
Vermutlich machte das keinen Unterschied.
Als er die beiden Arm e um sich spürte und wahrnahm , dass seine Beine den Boden nicht m ehr berührten, wusste er, dass es wirklich keinen Unters chied machte. Er ve rsuchte zu schreien, doch die Luft, die die S timmbänder zum Vibrieren brauchten, war aus ihm herausgedrückt wo rden. Er sah, wie sich der Sternenhimmel langsam drehte, ehe er von einem gepolsterten Autodach verdeckt wurde.
Er spürte einen warm en, stechenden Atem in seinem Nacken und sah durch die Frontscheibe des Corolla. Der Mann m it der Sonnenbrille stand am Taxi und schob ein paar Scheine durch das Seitenfenster. Der G riff lockerte sich etwas und Løken sog die verschmutzte Luft m it einem langen, zitternden Atem zug wie Quellwasser ein.
Das Fenster des Taxis
Weitere Kostenlose Bücher