Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
wieder ins Bett.
»Halt, einen Moment noch!«, rief Jonathan, um den anderen davon abzuhalten, sich auf die Seite zu drehen und ihm den Rücken zuzuwenden.
»Was ist denn noch? Lass mich endlich weiterschlafen!«
»Überleg doch mal!«, sagte Jonathan beschwörend. »Dass du auch mich gesehen hast, heißt doch nicht, dass ich dich belüge. Es bedeutet höchstens, dass ich kein Spion Sethurs bin.«
»So? Warum?«
»Deshalb.« Jonathan hielt ihm seine Flöte hin, diejenige, die er von seinem Großvater erhalten hatte, die er aber schon so oft vorher bei seinem Traumbruder gesehen hatte.
»Woher hast du die?«
Jonathan zuckte die Schultern. »Ich habe sie von meinem Großvater. Aber eigentlich tauchte sie genauso unvermutet auf wie deine. Mein Großvater dachte, ich bildete mir nur ein diese Flöte zu kennen.«
»Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.« Yonathan schaute abwechselnd auf die Flöte in den Händen vor ihm und auf diejenige, die auf dem Tischchen neben seinem Bett lag.
»Ich muss zugeben, dass ich es auch nicht richtig verstehe. Aber denk einmal nach, Yonathan. Wenn ich zu Sethur gehörte und den Auftrag hätte dich zu fangen, dann hätte ich es doch tun können, als ich unsere Flöten tauschte. Aber wie du selbst weißt, kam Sethur zu spät. Als er die Weltwind entern wollte, brach erst sein Mast und dann bist du mit Yomi auch noch ins Wasser gefallen, wodurch ihr ihm entkamt.« Jonathan schaute seinem Traumbruder eindringlich in die Augen. »Glaubst du mir jetzt?«
Yonathan war noch nicht überzeugt. »Also gut. Du bist kein Spion Sethurs. Auch dass du mich in deinen Träumen gesehen hast, nehme ich dir ab. Ich glaube dir aber nicht, dass es mich nicht gibt. Irgendetwas verbindet uns beide. Und es ist gewiss nicht deine Phantasie.« Yonathan bemerkte die Unsicherheit bei seinem Gegenüber. Er richtete sich im Bett auf und setztenach. »Überlege doch! Auch ich habe von dir geträumt. Und ich habe deine Flöte. Da liegt sie.« Er deutete zum Tischchen. »Glaubst du, eine Flöte oder sonst irgendwas kann von einem Traum in die Wirklichkeit gelangen und umgekehrt?«
Nun war Jonathan ratlos. »Diese Fragen habe ich mir auch schon oft gestellt. Und wenn ich ehrlich bin, dann habe ich keine Antwort darauf. Du musst mehr sein als nur ein normaler Traum. Manchmal, wenn ich so mit dir bangte und litt, dann habe ich mich gefragt, ob ich nicht der Traum bin und du die Wirklichkeit.«
Yonathans Besucher saß niedergeschlagen da und hatte scheinbar seinen Kampfgeist verloren. Aber freuen konnte er sich darüber nicht. Er fühlte sich ebenfalls ausgelaugt und verunsichert, aber auch auf eine unerklärliche Art und Weise zu diesem anderen Jonathan hingezogen. Er hatte Mitleid mit seinem Traumbruder.
Nachdem beide eine Weile schweigend nebeneinander gesessen hatten, fragte Yonathan sanft: »Du kennst mich schon so lange. Warum besuchst du mich erst heute?«
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Jonathan.
»Das macht nichts. Jetzt, da ich schon mal wach bin, habe ich viel Zeit. Fang einfach an und lass nichts aus. Ich liebe lange Geschichten – wenn sie spannend sind.«
Also begann Jonathan zu erzählen und legte seinem Traumbruder sein ganzes Leben dar. Er erzählte von seiner frühen Kindheit, die er gemeinsam mit seinem Vater verbracht hatte, von dessen allzu frühem Tod, von der Schulzeit und seinem Großvater, bis hin zu seiner Krankheit und den Träumen, die ihn seitdem nicht mehr losgelassen hatten. Schließlich war er bei den Ereignissen des vergangenen Tages angelangt und das viele Erzählen hatte ihn seine Bedrückung vergessen lassen.
»Ich dachte: Es muss doch einen Weg geben, dich an deinen Auftrag zu erinnern. Ich war so verzweifelt, dass ich die Augen schloss und darum betete.«
»Zu Yehwoh?«, flüsterte Yonathan, von der Erzählung in den Bann geschlagen.
»Auf der Erde klingt sein Name ein wenig anders – aber ich glaube, es ist der gleiche Gott, zu dem wir beten.«
»Was geschah dann?«, drängte Yonathan seinen irdischen Bruder fortzufahren.
»Ich bemerkte plötzlich, dass der Mond, die Sterne und der Park vor meinem Fenster verschwunden waren. Als ich versuchte es zu öffnen, konnte ich plötzlich stehen. Du musst dir das mal vorstellen! Seit über fünf Jahren stand ich zum ersten Mal wieder auf meinen eigenen Beinen. Na, jedenfalls kletterte ich gleich durch das Fenster und muss wohl auf diese Weise direkt in dein Zimmer eingestiegen sein.«
»Du meinst, du bist durch das
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