Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
schrie, weil es ihm die Haut von den Händen zu reißen drohte.
»Was ist denn los?«, rief Yonathan durch die Zweige. »Warum hängt er da?«
Din-Mikkith eilte zu Yonathan und erklärte ruhig, aber mit großem Nachdruck: »Wir müssen Yomi sofort da losbekommen. Jeden Moment wird das Krormakh kommen!«
»Das Krormakh?«
»Wenn uns nichts einfällt, wie wir ihn losbekommen, muss ich ihm die Haut vom Leibe reißen.«
Yonathan verstand, dass keine Zeit zu verlieren war, nur nicht, worin die eigentliche Gefahr bestand. Endlich fiel ihm sein Dolch ein. Er zog die reich verzierte Klinge aus derScheide und reichte sie Din-Mikkith durch die Äste hindurch. »Hier, nimm ihn und schneide ihn los…«
»Ich hab schon verstanden«, fiel ihm der Behmisch ins Wort und eilte bereits wieder davon.
Wütend schlug Yonathan mit Haschevet gegen die starren,gelben Äste. Doch das konnte sie nicht dazu bewegen, sich auch nur einen Fingerbreit zu öffnen. Es zeigten sich ein paar Kratzer, aus denen eine zähe, milchig weiße Flüssigkeit austrat, sonst nichts.
Er ist nicht wie Zephon, dachte Yonathan verzweifelt. Der Stab vernichtet nur Böses. Aber ein Baum ist weder gut noch böse. Er hat keinen Verstand! Mit beiden Händen die nackten, gelben Äste umklammernd verfolgte Yonathan die Bemühungen Din-Mikkiths, den langen Seemann aus seiner Lage zu befreien. Offenbar sah sich der grüne Waldläufer einem unlösbaren Problem gegenüber. Alles Schneiden und Säbeln half nichts. Die Klinge wollte nicht in die Rinde eindringen. Nach kurzer Zeit drehte er sich zu Yonathan um und zuckte mit den Schultern.
»Der Dolch ist ja stumpf wie ein Fischschwanz«, rief er zu Yonathan hinüber. »Ich werde ihm doch die Haut vom Leibe reißen müssen. Wir haben keine Zeit mehr!«
Yomi winselte angesichts dieser wenig verlockenden Aussicht.
»Warte noch!«, rief Yonathan, als Din-Mikkith schon einen festen Stand suchte, um sein blutiges Werk zu verrichten. »Schnell! Bring mir noch mal den Dolch!«
Der Behmisch zögerte einen Moment, unschlüssig, ob er noch so viel Zeit vergeuden durfte. Schließlich hob er den Dolch wieder auf und Yomi und Yonathan atmeten erleichtert auf. Din-Mikkith zischte durch die gelben Gitterstäbe: »Was willst du damit? Wir haben keine Zeit mehr!«
Statt zu antworten, entriss Yonathan seinem Freund den Dolch, konzentrierte sich und setzte die Schneide an einem der gelben Äste an. Im Nu hatte er ihn und kurz darauf auch einen zweiten Ast durchschnitten. Die abgetrennten Enden fielen – seltsamerweise weich wie dicke Taue – zur Erde nieder und er konnte unter den von weißem Saft tropfenden Schnittstellen hindurchschlüpfen.
Erst jetzt fiel Yonathan auf, dass der Boden dahinter frei von Pflanzen war. Er bestand mehr oder weniger aus weicher, aufgewühlter Erde. Im nächsten Augenblick erreichte er schon seinen Freund und machte sich sofort an die Arbeit. »Beweg deine Hände jetzt nicht, Yo!«
»Du machst mir Spaß. Wenn ich das könnte, brauchtet ihr nicht hin und her flitzen wie aufgeschreckte Sardinen. Was ist überhaupt dieses Krormakh, von dem Din-Mikkith…«
Yomi vollendete seine Frage nicht. Stattdessen nahmen seine Augen einen starren, entsetzten Ausdruck an.
Yonathan folgte dem Blick seines Freundes. »Was ist das?«, stammelte er.
»Krormakh«, raunte Din-Mikkith, der einige Schritt entfernt zwischen ihnen und dem Furcht erregenden Wesen auf der anderen Seite der gelben Gitterwand hockte.
Obwohl die Äste des Baumes die Sicht beschränkten, konnte man die gewaltigen Ausmaße dieses Geschöpfes erahnen. Es war so groß wie ein Haus. Seine unbehaarte, mattbraune Haut war über und über mit kinderkopfgroßen Blasen bedeckt, die durchscheinend waren und ein seltsames Eigenleben zu besitzen schienen. Die Augen des Tieres waren gelb und kalt. Unter dem geschlossenen Maul pulsierte die Haut wie ein Blasebalg.
»Aber das ist doch…«
»Eine Kröte!«, vollendete Yonathan die Bemerkung Yomis.
»Ja, aber was für eine!«, stöhnte Yomi. »Eine unheimlich große. Din, was fressen denn diese Viecher?«
»Vorzugsweise Seemänner. Wenn sie nichts anderes kriegen, nehmen sie auch vorlieb mit Tigern, Wingiths oder Erdferkeln.« Din-Mikkith drehte sich nicht um, sondern behielt die Krormakh im Auge.
Diese Bemerkung trug nicht gerade zur Beruhigung Yomisbei. »Meinst du, es gelingt ihr, die Äste zu durchbrechen und uns anzugreifen?«
»Es ist hier zu Hause. Dies hier ist ihr Nest.«
Mit festem Griff und
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