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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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das irgendeinen Wert besaß? Er wusste wohl, dass Temánahische Waffen auch im Cedanischen Reich geschätzt wurden, aber dies verstärkte noch seine Abneigung gegen alles, was aus dem finsteren Südreich stammte.
    Erst, als die knochige, schwarze Gestalt hinter einer Biegung verschwunden war, fühlte Yonathan sich besser. Er atmete tief durch und wandte sich der breiten Straße zu, die den Blick auf den Hafen Kitvars freigab. Schon bald hatte er den schwarzen Priester vergessen – vorläufig jedenfalls.
    Möwen kreischten. Es herrschte geschäftiges Treiben. Der Geruch von Fisch und Salzwasser lag in der Luft. Yonathan war schon als kleiner Junge oft zum Hafen hinuntergegangen und hatte den Männern zugesehen, die die Ladung der großen und kleinen Schiffe löschten oder neue Waren verluden. Manchmal hatte er sogar einfache Hilfsdienste verrichten dürfen. Etwas abseits trockneten die Fischer ihre Netze. Ein paar Männer grüßten ihn durch Winken und Zurufen.
    Dann sah er die Weltwind. Das Schiff war wirklich nicht zu übersehen, denn es war das größte im Hafen, ja, vielleicht sogar das größte, das je in Kitvar gelegen hatte. Jetzt begriff Yonathan auch die Äußerung Hardors, des Seemannes, der sie am Morgen besucht hatte. »Sie schaut aufs Meer hinaus«, hatte er gesagt. Das tat sie wirklich! Am Bug des Dreimasters waren böse dreinschauende Augen aufgemalt. Da die Weltwind mit dem Bug der Hafenausfahrt zugewandt war, »blickten« diese Augen auf das offene Meer hinaus.
    Yonathan ging die Pier entlang und musterte das Schiff, das für die nächsten Wochen sein Zuhause sein sollte. Der große Dreimaster machte trotz seiner gewaltigen Ausmaße und der hohen Bug-und Heckaufbauten einen wendigen Eindruck. Handelsschiffe waren in der Regel plumpe, breite und langsame Gefährte. Nicht so die Weltwind. Trotz ihrer Größe waren die Proportionen in meisterhafter Weise ausgeglichen, sodass man von ihr wohl nicht nur eine hohe Ladefähigkeit, sondern auch eine große Geschwindigkeit erwarten konnte, wenn sie erst einmal vor dem Wind lief.
    Die aufgemalten Augen auf dem Bug des Schiffes wiesen darauf hin, dass der Schiffseigner an die neschanischen Seegötter glaubte. Solche Augen dienten zur Abschreckung böser Seegeister. Die Welt ist voller Aberglauben, dachte Yonathan. Die Menschen sollten von Yehwoh abgelenkt und Melech-Arez in die Arme getrieben werden, dem großen Widersacher Yehwohs, der die Herrschaft über Neschan an sich reißen wollte.
    Und Yonathans Aufgabe bestand darin, diesem Plan entgegenzuwirken. Er musste den Stab Haschevet Goel überbringen, damit ihn dieser wiederum seinem Nachfolger übergeben konnte, der nach der Prophezeiung den Sieg über Melech-Arez’ Horden davontragen sollte. Bei der Verfolgung dieses Ziels durfte sich Yonathan nicht ablenken lassen.
    Dann stand er vor dem Dreimaster. »Ahoi!«, rief er dem Mann zu, der die letzten Verladearbeiten überwachte. »Mein Name ist Yonathan. Ich soll mit euch reisen.«
    »Kommt an Bord. Der Kapitän erwartet Euch bereits.«
    Yonathan kletterte über einen schmalen Steg an Bord und wurde von einem Matrosen nach achtern geführt. Ein merkwürdiges Prickeln im Hinterkopf weckte seine Wachsamkeit.
    »Dort oben auf der Brücke, das ist Kapitän Kaldek«, sagte der Seemann und verschwand.
    »Da ist ja unser Goldstück!«, ertönte eine krächzende Stimme von vorn. Die unerwartete und irgendwie unpassende Begrüßung schien von einer heiseren Frauenstimme her zu kommen.
    Yonathan blinzelte zur Kommandobrücke hinauf. Es war fast Mittag und die hoch stehende Sonne ließ die Gestalt dort oben nur als dunkle Silhouette erscheinen.
    »Aha«, vernahm er eine knarrige Stimme, die an das Geräusch einer schlecht geschmierten Tür erinnerte, »das muss wohl unser junger Passagier sein.« Die wenigen Worte genügten, um diese Stimme von der ersten unterscheiden zu können. Yonathan konnte im Gegenlicht aber nur den Umriss einer Person ausmachen.
    Die Schattengestalt trat beiseite und Yonathan schaute einen Augenblick lang in die grelle Sonne. Bunte Punkte tanzten vor seinen Augen und er hörte schwere Stiefel eine knarzende Holztreppe herunterpoltern. Als er wieder aufschaute, blickte er in das Gesicht des Mannes, dem alles unterstand, was sich auf der Weltwind regte: Kapitän Kaldek.
    Der Mann entsprach vollkommen den Vorstellungen Yonathans von einem Kapitän. Kaldek hatte ein wettergegerbtes Gesicht, das von vielen kleinen Narben übersät war. Sein Blick aus

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