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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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den schwarzen, eng beieinander stehenden Augen schien Yonathan bis ins Knochenmark dringen zu wollen. Kaldeks Haut hatte einen sonnengebräunten Ton, die Haare waren schwarz, glatt und ein wenig fettig. Der Kapitän war nicht sehr groß, glich dies aber durch eine ansehnliche Körperfülle aus. Trotzdem war er nicht fett oder gar behäbig, vielmehr schienen ihm sein Umfang und sein niedriger Schwerpunkt bei rauer See einen festen Stand zu verschaffen – eine Eigenschaft, die für einen Seemann überaus wichtig war.
    Auffallend war der eigenartige Hut des Kapitäns. In der Mitte und an den Krempen ragte er spitz nach oben. Man hätte glauben können, Kaldek trüge ein Modell der Weltwind quer auf dem Kopf. Weiterhin trug er ein Hemd aus feinem, etwas schmuddeligem Leinen, darüber ein blaues Wams, das mit Messingknöpfen besetzt war, eine ebenfalls blaue Hose undschwarze Lederstiefel. Sein Äußeres verriet Wohlstand.
    »Aller Friede Neschans sei mit Euch«, sagte Kaldek und streckte Yonathan die Hand entgegen.
    »Aller Friede sei mit Euch«, erwiderte Yonathan den Gruß und griff nach Kaldeks Pranke. Einen Moment lang musterten sich die beiden. Yonathan bemerkte, wie sein Geist vorsichtig nach den Gefühlen des Kapitäns tastete. Die unsichtbaren Fühler seines Bewusstseins verrichteten ihre Arbeit inzwischen wie von selbst. Diese neue Fähigkeit, die er dem Stab Haschevet verdankte, war ihm noch nicht ganz geheuer. Er fühlte sich wie jemand, der heimlich an Türen lauscht.
    Zumindest verriet ihm diese neue Art der Wahrnehmung einiges über den Mann, in dessen undurchsichtiges Lächeln er gerade blickte. Offenbar gehörte der Kapitän zu jener seltenen Gattung, die für den richtigen Lohn zwar so gut wie jeden Auftrag übernahm, die sich dann aber auch loyal an die getroffenen Vereinbarungen hielt. Kurz gesagt: Kapitän Kaldek war ein »ehrliches Schlitzohr«.
    Jetzt taxierte er Yonathan mit dem geübten Blick eines Frachtmeisters, der eine zusätzliche, Gewinn bringende Ladung betrachtet.
    »Entschuldigt bitte die ungebührliche Bemerkung von Zirah, aber so begrüßt sie jeden, der in ihre Nähe kommt.«
    Yonathans Blick folgte dem über die Schulter deutenden Daumen Kapitän Kaldeks und er sah einen silbern glänzenden Metallkäfig, der am Kreuzmast hing. Ein eigenartiger Vogel befand sich darin, dessen Anblick Yonathan auf der Stelle mit Unbehagen erfüllte. Er musste sich zwingen ihn genauer zu betrachten und dabei wurde ihm die Ursache jenes merkwürdigen Kribbelns klar, das er beim Betreten der Weltwind empfunden hatte.
    Äußerlich wirkte das Tier eher bizarr als beängstigend. Es hatte die Größe eines kräftigen Bussards, besaß jedoch nicht dessen anmutige Statur und unaufdringliche Färbung. Vielmehr schien irgendein Spaßvogel ihm einen grotesken Anstrich verpasst zu haben. Vom Schnabel bis zu den Krallen pechschwarz, waren die Flügel Zirahs, wie sie der Kapitän genannt hatte, grell-orange gefärbt. Kopf und Hals waren kaum mit Federn bedeckt, aber selbst die darunter vorscheinende Haut besaß dasselbe tiefe Schwarz, das so auffällig mit den orangefarbenen Flügeln kontrastierte. Nur zwei winzige Punkte stachen erschreckend aus der schattenhaften Schwärze des Körpers hervor: die Augen. Erschreckend nicht nur wegen der senkrecht stehenden, schmalen Pupillen, die von einer Iris aus leuchtendem Orange umgeben waren und an den kalten, lauernden Blick einer Giftschlange erinnerten. Nein, in diesen Augen lag noch etwas anderes, etwas Unbestimmbares, etwas Böses.
    Yonathan riss sich von dem hypnotischen Blick Zirahs los und wendete sich wieder an den Kapitän. »Ein außergewöhnliches Tier habt Ihr da, Herr Kapitän«, sagte er höflich, glaubte jedoch nicht, dass dieser Vogel zögern würde, einen freundlich neckenden Finger einfach abzubeißen.
    »Nun, Zirah ist vielleicht nicht gerade nach jedermanns Geschmack«, entgegnete Kaldek, »aber sie hat mir schon manch lange Stunde verkürzt.« Das Lächeln auf seinem Gesicht wich einer geschäftsmäßigen Miene, als er hinzufügte: »Doch nun müssen wir für Eure Unterbringung sorgen. Da die Weltwind ein reines Frachtschiff ist, sind wir nicht auf Gäste eingestellt. Aber ich werde Euch einen akzeptablen Platz für die Reise anbieten können. Es ist eine kleine verschließbare Kammer unter dem Achterdeck, die gewöhnlich zur Unterbringung wertvoller Güter genutzt wird. Zurzeit seid Ihr unsere wertvollste Fracht, mein junger Freund.« Kaldek lachte

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