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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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über Himmel und Hölle unterhalten? Ja. Sicher. Das hatte er.
    Und doch schien es ihm, als lägen diese Dinge schon viele Tage zurück. Er überlegte: In seinem Traum war er seit dem Verlassen Kitvars sieben Tage auf dem Meer gewesen. Doch er erinnerte sich nur noch daran, am ersten Tag erwacht zu sein, dem Tag, an dem er mit Jimmy gesprochen hatte. Gewiss, es war nicht das erste Mal, dass die Ereignisse eines Traumes mehr als nur die Dauer einer Nacht umfassten. Trotzdem unterschieden sich die jüngsten Geschehnisse von allen vorangegangenen.
    Sieben Tage waren im Traum an ihm vorübergegangen, doch nicht wie im Fluge, nicht wie in einer einzigen Nacht! Ihn beschlich das Gefühl, dass tatsächlich sieben Tage verstrichen waren, seit er sich damals, traurig über den Verlust seiner Flöte, zu Bett gelegt hatte. Aber das konnte ja nicht sein. Er schüttelte stumm den Kopf. War er denn ein Siebenschläfer? Nein, das war er bestimmt nicht, genauso wenig, wie man sieben Tage einfach verschlafen konnte.
    Wenig überzeugt von dem, was er sich einredete, wusch Jonathan flüchtig sein Gesicht und bereitete sich auf den neuen Tag vor. Immer wieder rollte er rastlos in seinem Zimmer hin und her, ordnete seine wenigen Habseligkeiten, wo es eigentlich nichts mehr zu ordnen gab, und tat alles, um sich abzulenken von diesem eigenartigen Gedanken, die Zeit hätte ihn für sieben Tage vergessen und sich erst heute wieder an ihn erinnert.
    Endlich hörte er ein vorsichtiges Klopfen. Samuel Falter streckte, wie schon unzählige Male zuvor, seinen grauen Haarschopf durch die Tür. »Du bist schon wach?«
    »Das siehst du doch«, entgegnete Jonathan mürrisch.
    »Oh, sind Mylord heute Morgen indisponiert?«, fragte Samuel spöttisch.
    Jonathan lächelte gezwungen. »Tut mir Leid, Samuel. War nicht so gemeint.«
    »Schon gut«, gab der alte Hausdiener zurück. »Aber sag, was fehlt dir wirklich? Ich kenne dich zu gut, um nicht zu merken, dass irgendetwas nicht stimmt mit dir.«
    Jonathan antwortete mit einer Gegenfrage: »Wie lange ist es jetzt eigentlich her, dass mein Großvater mich besucht hat?«
    »Warte mal.« Samuel zählte die Tage an seinen Fingern ab. »Neun Tage sind seitdem vergangen. Wieso fragst du?«
    Jonathan sackte kraftlos in seinem Rollstuhl zusammen, unfähig etwas zu erwidern. Es war schlimmer, als er befürchtet hatte: Ihm waren sieben Tage abhanden gekommen! Er hatte sie einfach verschlafen – so schien es jedenfalls.
    »He! Junge, was ist mit dir?« Samuel schüttelte Jonathan, der wie abwesend in seinem Stuhl saß, an den Schultern.
    Langsam kehrte er wieder ins Bewusstsein zurück. »Nichts, nichts…«, stammelte er.
    »Nun sag schon, was du hast«, drängte Samuel. »Ich sehe doch, dass dich irgendetwas beunruhigt.«
    »Was haben wir eigentlich in der vergangenen Woche so alles getan?«
    »Weißt du eigentlich, dass es unhöflich ist ständig mit Gegenfragen zu antworten?« Samuel bemühte sich um eine strenge Miene, freilich vergebens, denn seine Sorge um Jonathan war größer als die Verwunderung über dessen eigenartiges Verhalten. »Was sollen wir schon gemacht haben? Dein Großvater war am Donnerstag letzter Woche bei uns, heute haben wir bereits wieder Samstag. Dazwischen lagen ganz normale Schultage – wenn man von dem nicht weniger gewöhnlichen Sonntag absieht. Ihr Jungen seid morgens früh aufgestanden, habt gegessen, Unterricht gehabt, eure Hausaufgaben gemacht und seid abends wieder zu Bett gegangen.«
    »Du verstehst mich nicht.« Aus Jonathans Stimme klang Ungeduld. »Es muss doch irgendwas geschehen sein. Nie vergeht eine ganze Woche, ohne dass irgendetwas Außergewöhnliches passiert.«
    Samuel zuckte mit den Schultern und schob die Unterlippe vor. Doch dann leuchteten seine Augen und er verkündete freudestrahlend: »Mir fällt etwas ein! Es hat sich doch etwas Besonderes ereignet. Mary, unsere Küchenhilfe, kam gestern mit drei Truthähnen nach Hause. Der junge Bauer Scott hat sie ihr geschenkt. Es sei für das Internat, sagte er, aber ich glaube, der gute George hat ein Auge auf unsere Mary geworfen und wollte sie mit den Putern beeindrucken.«
    Jonathan hatte sich interessiert vorgebeugt, doch jetzt sank er wieder in seinen Rollstuhl zurück. Er hatte gehofft einen Hinweis für die Ursache seines rätselhaften Gedächtnisschwundes zu finden. Und stattdessen erzählte ihm Samuel irgendwelchen Klatsch.
    »Jonathan«, sagte Samuel eindringlich, »du sagst mir jetzt, was du hast. Versuche

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