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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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grinsend zurück, »aber von den guten Sachen, die es samstags immer zum Frühstück gibt, lässt leider keiner etwas übrig.«
    Jonathan war dankbar, dass sein Freund nicht genauso griesgrämig reagiert hatte, wie er ihm begegnet war. »Hätte ich das gewusst, von mir hättest du gerne noch etwas abhaben können«, sagte er versöhnlich.
    »Na ja, vielleicht beim nächsten Mal«, sagte Jimmy. Sein Lachen wirkte ansteckend und verscheuchte Jonathans gedrückte Stimmung endgültig.
    Jonathan huschte ein Gedanke durch den Kopf. »Sag mal, Jimmy, wann haben wir eigentlich zuletzt in meinem Zimmer zusammengesessen und uns unterhalten?«
    »Lass mich mal nachdenken. Ja, das war am 14. September, letzte Woche Freitag. Ich erinnere mich noch genau. Zwei Tage zuvor hattest du dein Gefecht mit Pastor Garson. Diesen Tag werde ich so schnell nicht vergessen!« Die Erinnerung an Jonathans Auseinandersetzung mit dem Pastor ließ Jimmys Augen glänzen.
    »Und heute haben wir Samstag, den 22. September 1923«, stellte Jonathan mit buchhalterischer Genauigkeit fest. »Dann sind seitdem also acht Tage vergangen, nicht war?«
    Jimmy runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht, worauf du hinaus willst.«
    »Warum haben wir uns eigentlich die ganze vergangene Woche über kein einziges Mal mehr zusammengesetzt, obwohl wir uns doch versprochen hatten unser Gespräch recht bald fortzusetzen?« Jonathan war sich natürlich nicht sicher, ob es stimmte, was er sagte, aber er wollte Jimmy mit seiner Frage aus der Reserve locken.
    Dieser zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Wir sind wohl nicht dazu gekommen.«
    »Was war denn in der letzten Woche los, dass wir nicht die Zeit hatten dazu?«
    Abermals Schulterzucken. »Eigentlich nichts.«
    »Oder haben wir uns vielleicht sogar in meinem Zimmer getroffen, aber du kannst dich nicht mehr daran erinnern?«
    Jetzt wurde Jimmy ungeduldig. »Was soll das eigentlich alles? Ich meine, deine Fragen und so. Wir sind wohl irgendwie nicht dazu gekommen. Aber deshalb brauchst du ja nicht böse zu sein. Heute beginnt das Wochenende, da können wir doch alles nachholen.«
    »Ich bin nicht böse«, sagte Jonathan und schwieg in einer Weise, die eher das Gegenteil vermuten ließ. In Wirklichkeit arbeitete sein Geist auf Hochtouren. Niemand hatte ihn in den vergangenen acht Tagen vermisst. Weder Samuel noch Jimmy konnten sich an irgendetwas erinnern, das herausragend gewesen wäre. Wie es schien, hatte er diese Zeit wirklich verschlafen und es war nur deshalb niemandem aufgefallen, weil eben alles ganz normal, wie immer, abgelaufen war – und seine Anwesenheit gehörte nun mal seit acht Jahren zur Normalität dieses Hauses.
    Diese Erklärung war herrlich simpel – und völlig unglaubwürdig, wie sich Jonathan eingestehen musste. Samuel schaute jeden Morgen in sein Zimmer, die Anwesenheit jedes Schülers wurde täglich im Klassenbuch vermerkt und schließlich war da noch Sir Malmek – absolut undenkbar, dass dem peniblen Heimleiter auch nur die kleinste Unregelmäßigkeit entgehen könnte!
    Jonathan musste feststellen, dass er ein Problem hatte. Irgendetwas stimmte nicht mit seinem Gedächtnis und es war sicherlich das Beste, wenn Sir Malmek davon in Kenntnis gesetzt wurde, sodass man baldigst einen Arzt rufen könnte.
    Jonathan seufzte tief und sagte mit schwachem Lächeln: »Ich bin dir wirklich nicht böse, Jimmy. Und was die nächsten Tage betrifft, da wird uns schon was einfallen, ganz bestimmt.«
    Zwei kritische, durch dicke Brillengläser unnatürlich vergrößerte Augen ruhten auf Jonathan. Die Augen gehörten Dr. Dick.
    Nachdem Sir Malmek von Samuel unterrichtet worden war, wie es um Jonathan stand, hatte er sofort den Arzt holen lassen. Für den Heimleiter gab es viele Gründe sich um das Wohlergehen gerade dieses Schülers zu sorgen – Sir Malmek verfügte über ein hervorragendes Gedächtnis und der eindrucksvolle Auftritt des alten Lord Jabbok lag ja erst eine gute Woche zurück.
    Dr. Dick, der den Kindern des Knabeninternats nicht unbekannt war, hatte keinen Augenblick gezögert herbeizueilen. Jonathan Jabbok gehörte zu seinen Lieblingspatienten. Jonathan konnte diese Art von Zuneigung nicht ganz teilen. Der Doktor schien in ihm immer noch den kleinen Achtjährigen zu sehen, dem seinerzeit eine schwere Krankheit jede Hoffnung geraubt hatte, jemals wieder wie andere Jungen laufen und herumtollen zu können.
    »Na, was haben wir denn für Wehwehchen?«, fragte Dr. Dick, nachdem

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