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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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er Jonathan eine Weile gemustert hatte.
    Jonathan rollte die Augen. Schon diese Anrede! Als wäre er ein Kleinkind. Dr. Dick hatte sich überhaupt nicht geändert. Andererseits – der Doktor meinte es ja nur gut mit ihm. Jonathan beschloss eine Taktik der kooperativen Zurückhaltung einzuschlagen. »Eigentlich nichts«, antwortete er knapp.
    Dr. Dick blieb hartnäckig. »Als Sir Malmek mich rufen ließ, klang es nicht danach, als sei es ›eigentlich nichts‹.«
    »Sie fragten mich, was mir wehtut, Dr. Dick«, erklärte Jonathan sachlich, um zu zeigen, dass er durchaus in der Lage war genau zuzuhören und exakte Antworten zu geben. »Mir tut nichts weh. Das muss aber nicht heißen, dass es mir gut geht.«
    »So, so«, setzte Dr. Dick nach, Jonathans Widerstand völlig ignorierend, »was ist es also denn, was uns fehlt?«
    Jonathan sammelte seine Gedanken und sagte dann: »Ich bin heute Morgen aufgewacht und dachte, wir hätten Samstag, den
    15. September. In Wirklichkeit ist heute aber Samstag, der 22.«
    »Das ist doch nicht so schlimm«, beruhigte ihn Dr. Dick. »Selbst ich komme manchmal im Kalender durcheinander.« Und so, als würde er Jonathan ein strenges Geheimnis anvertrauen, fügte er hinzu: »Und ich bin schließlich ein studierter Mann; ich müsste es eigentlich genau wissen.«
    »Es geht nicht darum, dass ich im Kalender um eine Wochenspalte verrutscht bin«, erklärte Jonathan. »Es geht darum, dass ich mich nicht daran erinnere, was an den vergangenen sieben Tagen geschehen ist.«
    »Aha«, stellte Dr. Dick fest, »dann willst du mir also sagen, dass du so etwas wie Gedächtnisschwund hast, dir fehlt ein Stück deiner Erinnerung.«
    Jonathan war froh, dass der Arzt endlich verstanden hatte.
    Dr. Dick begann nun mit einer ausführlichen Untersuchung. Jonathan musste viele Fragen beantworten: ob ihm das Essen schmecke, ob er sich manchmal schwindelig fühle oder Kopfschmerzen habe und so weiter und so fort.
    Schließlich sagte Dr. Dick, schwer ausatmend, so, als hätte er eine mühevolle Arbeit zum Abschluss gebracht: »Ich kann nichts feststellen, mein Junge. Wir sind zwar ein wenig schwächlich und auch ziemlich blass, aber sonst finde ich wirklich keinerlei Hinweise darauf, was uns fehlen könnte.«
    Innerlich triumphierte Jonathan. Obwohl seine Vernunft ihm zuletzt selbst gesagt hatte, dass er irgendeine Krankheit haben müsse, war er insgeheim doch stets der Meinung, es gebe eine andere Ursache für seinen siebentägigen Schlaf. Die Diagnose des Arztes bestätigte ihn in dieser Vermutung. In den Tonfall des Doktors einstimmend fragte er: »Können wir uns dann wieder anziehen?«
    Für einen kurzen Augenblick zeigte sich eine steile Falte auf Dr. Dicks Stirn, doch dann sagte er wieder freundlich: »Ja, ja, mein Junge, ziehe dich nur an. Ich gehe inzwischen schon hinaus und spreche mit Sir Malmek.«
    Gerade wollte sich der Doktor abwenden, um den Raum zu verlassen, da hielt Jonathan ihn zurück. »Dr. Dick?«, begann er. Er hatte neuen Mut gewonnen, aber die Reaktion auf das, was er den studierten Mann noch fragen wollte, war schwer abzusehen.
    »Ja, mein Junge. Was haben wir denn noch?«
    »Kennen sie die Siebenschläfer-Legende?«
    »Ich meine davon gelesen zu haben – es ist schon ziemlich lange her.«
    Jonathan wollte sichergehen, dass der Doktor und er von derselben Geschichte sprachen. »Die Legende der sieben Schläfer von Ephesus ist im Mittelalter sehr verbreitet gewesen, sowohl in den Kirchen der Christenheit als auch unter den Anhängern Mohammeds. Sie erzählt von sieben jungen Männern, die Christen waren. Sie lebten zur Zeit des römischen Kaisers Decius, also ungefähr in der Mitte des dritten Jahrhunderts nach Christus. Damals war es für viele Menschen ein großes Problem sich zum Christentum zu bekennen. Decius wollte nämlich die alten Gottheiten wieder aufleben lassen, wodurch er, als Kaiser, selbst ein Gott geworden wäre; er glaubte dadurch sein Reich vereinen zu können. Die Christen waren zwar friedliebende Menschen, die die Gesetze des Kaisers achteten, aber sie weigerten sich irgendeinen anderen als ihren Gott anzubeten. Deshalb hasste der Imperator Decius sie und es blieb nicht lange dabei, dass er sie nur beschimpfte, sie würden den Zerfall des Reiches fördern. Bald ließ er sie auch verfolgen. Ja, man sagt sogar, dass er der erste Herrscher war, unter dem es zu einer allgemeinen Verfolgung der Christen kam.
    Zu dieser Zeit also lebten die bereits erwähnten sieben

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