Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
niederschlagenden Feuchtigkeit zu unterscheiden.
Abgesehen von dem schlüpfrigen Untergrund, war das Vorwärtskommen hier im Hochwald leichter als in dem hinter ihnen liegenden Grenzwald mit seinen bisweilen hüfthohen Farnen. Im Dämmerlicht unter den mächtigen Baumkronen fristeten nur einige wenige, selbstgenügsame Pflanzen ihr Dasein.
Am Nachmittag des zweiten Tages – Yonathan und Yomi hatten sich inzwischen noch näher an die Ausläufer des Drachengebirges herangearbeitet – hellte sich der Wald etwas auf. Die Bäume standen in diesem Gebiet weiter auseinander, sodass auch wieder kleinere, lichthungrige Pflanzen zu ihrem Recht kamen. Der Himmel, der hier und da zwischen dem Blattwerk hindurchlugte, trug jedoch noch immer ein tristes graues Gewand.
Die beiden Gefährten folgten seit einiger Zeit einem ausgetretenen Pfad, der – den Spuren nach zu urteilen – von größten Tieren stammte. Bisher waren die Bewohner des Verborgenen Landes sehr zurückhaltend gewesen. Ab und zu konnten Yonathan und Yomi einige Vögel beobachten, gelegentlich schwangen sich kleine, pelzige Tierchen in luftiger Höhe durch das Geäst des Waldes. Einmal glaubten die beiden hinter Buschwerk, ganz in ihrer Nähe, einen mächtigen Schatten wahrgenommen zu haben. Abgesehen von den wenigen sichtbaren Kreaturen, zeigte dieses Land aber durch eine vielfältige Geräuschkulisse, dass es eine Menge Bewohner mehr geben musste!
Wie erwartet, endete der Waldpfad an einer Wasserstelle, einem kleinen Bächlein, das sich vom Drachengebirge in das Verborgene Land hinunter schlängelte. An dieser Stelle staute sich das Wasser und man konnte unter seiner Oberfläche Fische erkennen. Einmal mehr zeigte Yomi seine große Geschicklichkeit. Er stellte sich in das ruhig dahinfließende Wasser und verharrte ein paar Augenblicke regungslos wie eine Birke. Plötzlich schnellte seine Hand in das Wasser und kam mit einem Fisch wieder empor. Noch ehe sich das zappelnde Wesen seinem Griff entwinden konnte, warf er es ans Ufer und rief Yonathan zu: »Da hast du dein Abendbrot für heute. Sieh zu, dass es dir nicht wieder davonhüpft.«
Mit geübtem Griff fing Yonathan den zappelnden Fisch ein, betäubte ihn mit dem Knauf seines Dolches und bereitete ihm ein schnelles und schmerzloses Ende. Noch dreimal wiederholte sich diese Prozedur, sodass sie sich auf eine reichliche und wohlschmeckende Abendmahlzeit freuen durften.
Nachdem sie von dem sauberen und lauwarmen Wasser getrunken hatten, setzten sie ihren Marsch fort. Sie wollten nicht hier übernachten, da sie nicht wussten, wer bei Nacht diese Wasserstelle aufsuchen würde. So hielten sie nach einem geeigneten Lagerplatz Ausschau und bemerkten dabei kaum, wie die Bäume immer weiter auseinander traten und nach und nach von niedrigerem Pflanzenwuchs abgelöst wurden. Plötzlich hörte Yonathan einen Schrei und Yomi war wie vom Erdboden verschluckt.
Es dauerte einen Augenblick, bis Yonathan die Situation erfasste. Er und Yomi hatten den Waldrand abgesucht, der in einiger Entfernung wieder die Sträucher, Gräser und Farne ablöste; dabei hatten sie ihrer näheren Umgebung keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Jetzt bemerkte Yonathan, dass er unmittelbar am Rande eines riesigen Kraters stand.
»Yonathan, nun hilf mir doch endlich!«, ertönte Yomis Stimme. Der Ruf schien aus dem Boden zu kommen, direkt zu Yonathans Füßen.
»Wo bist du denn?«, rief Yonathan zurück.
»Hier unten. Nun komm schon. Schnell!«
Yonathan drückte die großen Blätter der hüfthohen Pflanze vor ihm zur Seite und sah in einen Abgrund hinunter, nicht sehr tief, aber doch tief genug, um sich beim Hinabstürzen den Hals zu brechen.
»Was machst du denn da?«
»Ich suche Gänseblümchen«, presste Yomi hervor. »Wenn du mir nicht gleich hilfst, musst du allein weitersuchen.« Mit einer Hand hielt er ein Bündel fingerdicker Blattstängel umklammert, die sich bereits langsam aus der weichen Erde zu lösen begannen.
Yonathan kniete hastig nieder, umfasste mit seiner linken Hand ebenfalls ein paar dicke Stiele und streckte seine Rechte Yomi entgegen, der Mühe hatte die helfende Hand seines Freundes zu packen. Yonathan hatte zwar nicht die Kraft Yomi emporzuziehen, doch er konnte ihn lange genug halten, dass dieser sein rechtes Bein über den Rand des Abgrundes brachte, um sich dann ganz hinaufzuschieben.
Erschöpft lagen und knieten die beiden an dem Absturz und blickten zu dem gewaltigen Erdloch hinab.
»Puh, das wäre
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