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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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beinahe ungeheuer schief gegangen«, keuchte Yomi. »Jetzt muss ich dir schon wieder danken.«
    »Beim nächsten Mal bist du wieder dran, mir zu helfen. Wenn es ein nächstes Mal gibt!«
    Sie rappelten sich hoch und starrten keuchend in den Krater hinunter. Er war riesig! Er musste über eine halbe Meile breit sein. Sein Rand war ringsum voller Buschwerk – ein Umstand, der Yomi fast zum Verhängnis geworden wäre. Der Abhang war, von einigen zähen Grasbüscheln abgesehen, unbewachsen. Dem Auge bot sich nur der triste Anblick von Felsen und Geröll. Selbst dort, wo der steile Absturz nach etwa hundert Fuß abflachte, um sich wie ein großer Trichter weiter in die Tiefe zu senken, war kaum eine Pflanze zu sehen.
    Bis auf eine Ausnahme.
    Genau in der Mitte des Trichters stand ein gewaltiger Baum – genauer gesagt, das, was von ihm noch übrig war. Der blattlose Riese bot ein jämmerliches Bild und nur mit viel Phantasie ließ sich ermessen, welch prachtvolle Erscheinung er einmal gewesen sein musste. Der gewaltige Stamm der Pflanze ragte aus einem Boden, der aus der Entfernung seltsam aufgelockert wirkte, wie ein frisch bearbeitetes Beet, das jedoch eine ungesunde graue, schimmlige Färbung trug.
    »Der Baum sieht ziemlich tot aus«, bemerkte Yomi lakonisch.
    »Ja, eigenartig«, stimmte Yonathan nachdenklich zu. »Ringsherum wuchern die Pflanzen, als sei heute ihr letzter Tag, und in dieser Grube da unten wächst so gut wie nichts. Was mag das wohl für ein Loch sein? Irgendwie passt es nicht hierhin, finde ich.«
    »Ich habe mal die Krone eines Vulkans bestiegen und in seinen Schlund geschaut; da sah es ähnlich aus. Aber ich kenne keinen Vulkankrater, der einfach so aus der flachen Erde wächst.«
    »Mir ist aufgefallen, dass wir seit einiger Zeit ständig bergauf gestiegen sind, wenn auch nicht sehr steil. Möglicherweise ist dieser Vulkan schon sehr alt, sodass seine Hänge von der Witterung abgeflacht wurden, bis nur noch dieser kleine Krater übrig geblieben ist.«
    »Klein? Ich habe noch nie ein so großes Loch in der Erde gesehen. Selbst die Kupferminen von Kaiser Zirgis sind nicht so groß.«
    Yomi beugte sich vorsichtig über den Abgrund. Er hatte etwas entdeckt. Yonathan ließ sich auf alle viere nieder und spähte in dieselbe Richtung. Jetzt sah auch er, was Yomis Aufmerksamkeit erregt hatte. Einen Steinwurf von ihnen entfernt war ein Vorsprung zu sehen, der gleich einer Rampe in den Krater hinabführte und bis zu der Stelle reichte, wo die Steilwand in den Schräghang überging.
    »Ich glaube, wir haben ein Nachtlager gefunden«, stellte Yomi zufrieden fest.
    »Was meinst du damit? Willst du etwa da runter?«
    »Hast du einen besseren Vorschlag? Dieser Platz sieht nicht so aus, als würden Tiere freiwillig dorthin kommen. Wir werden eine ungestörte und ziemlich trockene Nacht verbringen.«
    Yonathan war skeptisch. »Ich habe kein gutes Gefühl dabei.«
    »Schau«, sagte Yomi eindringlich, während er zum westlichen Horizont zeigte, »da drüben ist gerade die Sonne untergegangen. In Kürze wird es hier ziemlich dunkel sein. Willst du da noch in den Wald eindringen, um nach einem Nachtlager zu suchen?«
    »Nein.«
    »Oder willst du lieber hier auf dem Präsentierteller schlafen, wo uns jedes Raubtier leicht aufspüren kann und wir keinerlei Deckung haben?«
    »Nein.«
    »Na also, dann wäre die Sache ja ziemlich klar.«
    »Findest du denn, dass wir da unten besonders gute Fluchtmöglichkeiten haben, wenn uns jemand auf die Pelle rückt?«
    Yomi schloss die Augen, atmete tief ein und wieder aus, drehte sich um, entfernte sich fünf Schritte, so, als wolle er Yonathan für immer verlassen, machte dann jedoch kehrt und sagte schließlich: »Nein, das haben wir wohl nicht. Aber dort unter dem Baum sind wir zumindest ungeheuer schwer zu entdecken, was man hier oben nicht behaupten kann.«
    Yonathan seufzte. »Also gut.«
    Der Baum, den Yomi als »ziemlich tot« bezeichnet hatte, beschwor in ihm das Bild eines schlummernden Ungeheuers herauf, einer Bestie, die nur darauf wartete, von einem unvorsichtigen Tor aus dem Schlaf geweckt zu werden. Wenn ein Baum keine Blätter trug – was bei diesem Exemplar der Fall war –, dann musste er nicht zwangsläufig abgestorben sein. Als Bewohner der Nordregion mit ihren langen, kalten Wintern war Yonathan das Ruhen der Natur nicht fremd. Jeder Frühling weckte wieder all die zahllosen Schläfer und was eben noch leblos schien, erwachte schnell zu blühendem Leben.
    Wenn

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