Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
machst mir Spaß. Und wenn sie dann mit ihren Spießen nach uns werfen?«
»Oh, daran hatte ich nicht gedacht.«
In der Menge entstand Bewegung, dort, wo die große Hulk stand, die der Schwarzbärtige kurz zuvor erklommen hatte. Jetzt kehrte er zurück. Er verdrängte die Menschenleiber wie ein voll beladenes Handelsschiff das Bugwasser und gab damit einer anderen, noch imposanteren Erscheinung Gelegenheit sich ungehindert den beiden Gefangenen zu nähern. Der Unbekannte baute sich breitbeinig vor Yonathan und Yomi auf, die sich beeindruckt zeigten von der perfekten Kugelform des Piraten. Aber das Interesse beruhte auf Gegenseitigkeit. Auch der Starkleibige ließ sich Zeit seine beiden Besucher eingehend zu betrachten. Yomis Gesicht musste einer besonders gründlichen Prüfung standhalten.
Die beiden gaben sich ungerührt. Ohne Frage hatten sie einen von allen respektierten – oder zumindest gefürchteten – Mann vor sich, dessen Gehabe verriet, wie sehr er es genoss sich in der Macht zu baden, die ihm seine Position verlieh. Aber Yonathan entdeckte Risse in dieser pompösen Fassade, durch die noch andere Gefühle hindurchschimmerten: respektvolles Abschätzen, Furcht, Erkennen? Vielleicht war es Haschevet, der ihm diese Einblicke eröffnete. Jedenfalls beschloss Yonathan von nun an wachsamer zu sein.
»Willkommen in Kartan«, dröhnte der Dicke mit der Stimme einer Trompete, in die Sand geraten war. Er hakte beide Daumen in seinen breiten Gürtel, straffte die Schultern und drückte das Kreuz durch, dass man fürchten musste, er würde jeden Augenblick hintenüberkippen.
Das allgemeine Geplapper ringsum verstummte. Die Rückwärtsrolle blieb jedoch aus (wohl wegen des immensen Gegengewichts, über das der Kugelige in der vorderen Körperpartie verfügte).
»Ich bin der Chef dieser Kolonie.«
Allgemeines Gemurmel wogte durch die Menge.
Mühsam und mit weit schweifenden Gesten mahnte der Breitbeinige zur Ruhe.
Yomi nutzte den Moment der Ablenkung. »Was redet der da so geschwollen?«, flüsterte er Yonathan zu. »Chef! Kolonie!
Ich hatte das hier eigentlich für ein Nest von Halsabschneidern gehalten und den da für den Oberhalsabschneider.«
»Vielleicht hatte er ursprünglich mal anspruchsvollere Berufsplane und konnte es bis heute nicht verwinden nur Pirat geworden zu sein.«
»Wie dem auch sei, wir brauchen eine Idee, wie wir hier wieder rauskommen. Was sollen wir dem Dicken erzählen?«
»Die Wahrheit natürlich! Was sonst?«, antwortete Yonathan.
»Die Wahrheit?«
»Pass auf!«
Inzwischen herrschte wieder Ruhe auf dem Dorfplatz. »Jedenfalls bin ich sein Stellvertreter«, verbesserte sich der rundliche Pirat und setzte – eher an die aufmuckende Menge als an die beiden Besucher gewandt – hinzu: »Und ich habe das Kommando hier, solange der Chef nicht da ist.« Probehalber ließ er einen prüfenden Blick in die Runde schweifen, aber nur schwaches Gemurmel erhob sich. »Wie dem auch sei«, fuhr der runde Oberpirat fort, »mein Name ist Blodok und da es äußerst selten Gästen gelingt sich in unsere freundliche kleine Kolonie… sagen wir mal: zu verirren, konnten wir euch einfach nicht vorüberziehen lassen, ohne euch eine Kostprobe unserer Gastfreundschaft anzubieten.«
Yomi, als der ältere der beiden Angesprochenen, trat einen Schritt vor und erwiderte: »Mein Name ist Yomi, ich bin der Sohn Kaldeks.« Er legte die Rechte auf seine Brust und verbeugte sich knapp. Auf seinen kleineren Freund weisend, fügte er hinzu: »Und das hier ist Yonathan, der Sohn Yaschmons. Ich fühle mich ziemlich geehrt, Blodok, dass Ihr uns dieses Angebot macht. Aber wisst, dass wir sehr in Eile sind und daher Euer großzügiges Angebot kaum werden genießen können.«
Yonathan stand mit offenem Mund hinter seinem Freund und staunte über dessen plötzliche Gewandtheit in vornehmen Umgangsformen. War es die pure Angst um ihrer beider Leben, die Yomis Zunge Flügel verlieh?
Blodok grinste wölfisch und erklärte mit merkwürdig geändertem Tonfall: »Wir haben ein akzeptables Jahr gehabt und unsere Laderäume sind für den Winter gefüllt. Ihr beiden könnt daher sicher sein, dass es euch bei uns besser gehen wird als so manchem ungeladenem Gast zuvor. Außerdem interessiere ich mich brennend für eure Geschichte. Wir haben selten Gäste bei uns, mit denen man sich noch unterhalten kann. Erzählt uns etwas mehr darüber, wer ihr seid, woher ihr kommt, wohin ihr zu gehen gedenkt… und warum dein Gesicht zwei
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