Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
gegenüber angeschlagen hatte.
Yonathan schüttelte nur stumm den Kopf und staunte mit offenem Mund die hässliche Frau an.
Neben der Lampenhalterin erschien nun auch schwerfällig der Topfträger. Yonathan erkannte in ihm sofort den Ehemann der Frau. Im Licht der Tranfunzel war zu erkennen, warum sich der Mann so ungelenk bewegte: Sein rechtes Bein bestand vom Knie an abwärts aus Holz.
»Ich bin Gim und das ist meine Frau, Dagáh«, stellte sich der Einbeinige vor. Yonathan und Yomi erwiderten den Gruß und nannten ihre Namen.
Gim war nicht besonders groß, aber kräftig gebaut. Sein Haar glänzte tief schwarz, wie das der meisten Menschen in den südlichen Ländern des Cedanischen Reiches. Yonathan bemerkte sofort, dass Gim keine Feindseligkeit ausstrahlte. Sein von Falten zerfurchtes Gesicht war von tiefer Melancholie geprägt. Auch seine Begleiterin wirkte nur nach außen hin hart und verbittert. Dagáh war spindeldürr, was selbst die losen Tücher, die von ihrem Körper wie von dem Gestell einer Vogelscheuche herabhingen, nicht verbergen konnten. Ihre knochigen Arme und gichtigen Finger schienen die Lampe nur mit Mühe halten zu können. Ihr Kopf hing wacklig auf einem langen, dünnen Hals. Ein kleiner Buckel lastete auf ihrem krummen Rücken. Ihr Haar musste wie das ihres Mannes vor langer Zeit einmal schwarz gewesen sein. Nun hing es in grauen, dünnen Strähnen vom Kopf und konnte doch nicht verhindern, dass hier und da die Kopfhaut hervorschimmerte. Auf der scharf gebogenen Nase prangte eine Warze.
Navran hatte Yonathan immer wieder davor gewarnt, sichvom Äußeren einer Person oder Sache täuschen zu lassen.
»Entschuldigt bitte, Gim und Dagáh«, begann er höflich. »Wisst Ihr, was man mit uns vorhat?«
»Was soll man mit euch vorhaben?«, krächzte Dagáh. »Man wird euch die Hälse durchschneiden oder euch aufknüpfen, so, wie ihr es mit uns Piraten tut, wenn wir euch in die Hände fallen.«
»Schweig still, Weib!«, fiel Gim ihr ins Wort. Freundlicher wandte er sich an die beiden Gefangenen: »Ihr müsst nicht alles glauben, was sie sagt. Sie ist eine alte, verbitterte Frau – aber im Grunde herzensgut.«
Yonathan fragte den Piraten mit dem Holzbein: »Wenn man uns nicht töten will, was hat man dann mit uns vor?«
Gim schaute sich besorgt um. »Das weiß ich nicht«, gab er zu. »Es ist wirklich ungewöhnlich, dass Blodok euch nicht die Hälse hat durchschneiden lassen. Vielleicht hat er nur Angst, weil Sargas nicht da ist und er keinen Fehler begehen möchte. Er ist nämlich ein ausgewachsener Feigling, müsst ihr wissen.«
»Ihr redet nicht besonders gut von Eurem stellvertretenden Chef«, stellte Yomi fest.
»Pah!«, brach es verächtlich aus Gim hervor. Er spuckte aus, und Dagáh schüttelte den Kopf. Gim stellte den Eisentopf zu Yomis Füßen ab und erklärte: »Blodok ist ein Schleimer. Er wird von Sargas gestützt – und das weiß er! Alle hier in Kartan achten und fürchten Sargas, unseren Anführer. Aber Blodok würden sie lieber heute als morgen ins Meer zu den Zahnfischen werfen.«
»Wie kommt es, dass Sargas – wenn er doch ein so tüchtiger Anführer ist – Blodok derart schätzt?«, fragte Yonathan.
»Sargas und Blodok kennen sich schon lange, schon bevor sie hierher kamen, erst als einfache Piraten, bald als unsere Anführer. Blodok ist der Sohn Blodols, des Bootsmannes auf dem ehemaligen Flaggschiff der kaiserlichen Marine. Er hält sich für etwas Besseres – daher auch seine geschwollene Ausdrucksweise, von wegen Chef, Kolonie, Konferenzzentrum und so weiter, und so weiter…«
»Ihr meint, Blodoks Vater diente auf der Weltwind?«, fragte Yomi, plötzlich hellhörig geworden. »Unter dem Admiral der kaiserlichen Marine von Cedan, Balek?«
»Ja, so ist es. Du scheinst dich in diesen Dingen auszukennen. Na ja, kein Wunder! Die kaiserliche Marine begeistert wohl jeden Jungen.«
»Warum diente Blodok nicht wie sein Vater weiter in der kaiserlichen Marine?«
Gim zuckte mit den Achseln. »Der Zahlmeister Baleks hatte Geld veruntreut und Blodol stand in dem Verdacht, mit ihm unter einer Decke zu stecken. Man konnte ihm jedoch nichts nachweisen. Während man den Zahlmeister kurzerhand am Großmast der Weltwind aufknüpfte, ließ Zirgis im Falle Blodols Gnade vor Recht ergehen. Nachdem Zirgis seinem Vater, Kaiser Zirgon, auf den Thron gefolgt war, kam Blodol im Zuge einer allgemeinen Amnestie frei, musste jedoch aus der Marine ausscheiden. Anstatt für die Erhaltung
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