Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
vererbt und dieser würde es an seinen ältesten Sohn, Bomas, weitergeben. Er, Felin, war nur ein Nachkömmling ohne Bedeutung.
Doch das gewaltige Schwert war erhaben über solche Nichtigkeiten. Gewichtig ruhte es in sich selbst und kein Windstoß oder die Hand eines Unberufenen konnte es aus dieser Ruhe zwingen. Felins Hand aber gab ihm etwas von seiner alten, stolzen Bedeutung zurück. Zusammen mit dem Prinzen war es eine Achtung gebietende Einheit. Man ahnte nicht das Gewicht der gewaltigen Waffe, wohl aber ihre todbringende Wirkung auf jeden, der sich ihr in den Weg stellte.
Nun ergriff Yonathan den Stab Haschevet und hielt ihn mit ausgestreckten Armen der Morgensonne entgegen. Der goldene Knauf des Stabes schien ihr Licht einzufangen und in alle Richtungen auszustrahlen, als wäre er selbst ein kleiner Stern.
Die wenigen Menschen, die Zeugen des Geschehens waren, hielten den Atem an. Der Kaiser, seine Gemahlin, Barasadan, Phequddath, der Herzog von Doldoban, Fürst Melin-Barodesch, General Targith – sie alle fühlten, dass etwas Besonderes vor sich ging. Die Luft war spürbar erfüllt von einer Kraft, die sie nicht kannten; keiner der Anwesenden würde diesen Augenblick jemals vergessen.
Felin hob das Schwert und kreuzte es mit Haschevet.
Wo Stab und Schwert sich berührten, schoss ein gleißend blauer Blitz in den Himmel. Selbst von jenseits der Hecke sah man die Lichterscheinung, ja, mancher Bürger Cedanors wunderte sich über den einsamen, grellen Blitz, der an diesem klaren Wintermorgen die Stadt überstrahlte.
Yonathan war nicht sonderlich überrascht. Er hatte in den Händen die Hitze empfunden, die schnell stärker wurde, dann ein Vibrieren, die Entfaltung einer außergewöhnlichen Macht. In jenem Augenblick, in dem er wie alle anderen geblendet war, sah er die Wahrheit. Erst jetzt verstand er seine Worte an den Kaiser. Und jetzt verstand er auch die Rolle Felins in jenem großen Vorhaben.
Als die Umstehenden langsam ihre Sehkraft zurück gewannen, hatte sich etwas verändert. Yonathan sah in den blauen, traurigen Augen Felins jene Gewissheit schimmern, die nur der Einblick in die tiefsten und verborgensten Geheimnisse des Universums verleihen kann. Aber er sah keinen Stolz ob dieses Vorzugs, nicht einmal Freude. Eher eine noch größere Traurigkeit. Das verwunderte Yonathan, wusste er doch, dass nun auch Felin die Bedeutung seiner Worte erkannt hatte.
Weder Zirgis noch die anderen Anwesenden bemerkten etwas von diesen Dingen. Sie hatten nur Augen für das Schwert, mit dem eine seltsame Veränderung vor sich ging. Es strahlte leuchtend weiß, heller als Silber und glatter als polierter Sedin.
Die sprachlosen Beobachter versuchten zu begreifen, was sie sahen. Yonathan neigte nun den Stab zur Seite, dem Brunnen entgegen. Felin folgte langsam. Tiefer und tiefer senkten sich Stab und Schwert, bis sie das Wasser berührten. Das Schwert lag schließlich auf dem Stab, als Felin es vorsichtig losließ, sich aufrichtete und gespannt Yonathan anschaute.
Nun zog Yonathan den Stab unter dem Langschwert hervor – und es schwamm! Als wäre es aus Holz, wippte es auf und ab, bewegt von dem Wasser, das die Fontäne des Springbrunnens in ständiger Wallung hielt.
Eine Weile geschah nichts. Die meisten Zeugen des Ereignisses bestaunten offenen Mundes das im Brunnen dümpelnde Schwert. Schließlich brach Yonathan das ehrfürchtige Schweigen.
»Majestät, Euer Schwert schwimmt, wie Ihr es verlangtet.«
Zirgis schluckte mühsam. Kaum gelang es ihm, den Mund zu schließen und den Blick von dem im Wasser treibenden Beidhänder zu lösen. »Das geht nicht mit rechten Dingen zu«, stammelte er.
»Wollt Ihr etwa die Macht Yehwohs als Unrecht bezeichnen?«
Niemand wunderte sich über den herausfordernden Ton, auch Zirgis nicht. Der Kaiser schüttelte den Kopf und starrte Yonathan an, als hätte er ihm gerade sein Todesurteil verkündet. Wie zur Gegenwehr hob Zirgis die Hand und stammelte: »Geh mir aus den Augen! Geh!«
»Was ist mit Eurem Wort?«, beharrte Yonathan. »Kann ich mich im Palast frei bewegen?«
»Wenn du willst, kannst du in meinem Bett schlafen oder auf meinem Thron sitzen, aber geh, Knabe!«
»Und Felin erhält das Schwert?«
Jäh kehrten Klarheit und kalte Berechnung in die Augen des Kaisers zurück. Vielleicht überlegte er, ob das verwandelte Schwert ihm jene Macht geben könnte, die dieser unbequeme Knabe und sein Stab ihm verweigerten.
Yonathan wusste, dass er Zirgis nicht dazu kommen
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