Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
in diesem Augenblick. Er ließ den Blick wieder schweifen und bald schon nahm die Vielfalt der Festgäste seine Aufmerksamkeit erneut gefangen. Besonders beeindruckten ihn die Squaks, riesige Vogelwesen, die an eine Kreuzung aus Straußen und Geiern denken ließen. Ihre Flügel waren mit Federn bewachsene Arme und sie hatten ein weiteres Paar Hände da, wo sich bei einem Menschen der Ellenbogen befand. Die Squaks waren in kostbare, aber schreiend bunte Gewänder gehüllt und damit im Handumdrehen der Mittelpunkt des allgemeinen Interesses.
Seltsam berührt war Yonathan auch vom Anblick der Königin der Bolemiden. Sie schwamm in einer großen, durchsichtigen Kugel, die vielfarbig im Sonnenlicht schillerte. Ihre Beweglichkeit gewann Schsch, Ihre königliche Hoheit von Bolem, durch einen prachtvollen, mit Gold und Jade verzierten Wagen, der von einer Anzahl menschlicher Diener gezogen wurde. Die Bolemiden gehörten zu den wenigen Völkern, die nicht den Weisungen Cedanors verpflichtet waren. Ihr Element war das Meer. Niemand war so dumm ihnen dieses Reich streitig zu machen, nicht einmal die Cedanische Kriegsflotte, und schon vor langer Zeit hatte man sich für ein friedliches Nebeneinander entschieden.
Die Bolemiden legten dieses Bündnis bisweilen sehr zu ihrem Vorteil aus und bedienten sich gern einmal bei einem der kaiserlichen Handelsschiffe. In Cedanor nahm man dies mit der Gelassenheit des Machtlosen hin, denn der Schulterschluss gegen die Kriegsschiffe Temánahs war dem Kaiser allemal wertvoller als ein paar Schiffsladungen voll Wein.
Königin Schsch bewegte sich in ihrer Wasserkugel mit der Anmut eines Tintenfisches. Obwohl ihr tentakelbewehrter Körper nicht gerade dem menschlichen Schönheitsideal entsprach, konnte Yonathan doch erahnen, welche Grazie diese Geschöpfe besaßen. Es musste herrlich sein, einer Bolemidenformation zuzuschauen, die mit pulsierenden Stößen das Meerwasser durchpflügte.
»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, diese Qualle da hat unheimliche Ähnlichkeit mit einem Bolemiden.«
Yonathan, ganz in seine Beobachtungen versunken, erschrak und fuhr herum.
»Yo!«
Der lange Seemann strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und grinste breit. »Du siehst ziemlich überrascht aus. Hast wohl nicht mehr mit uns gerechnet, was?«
»Natürlich, aber… ich habe nur gerade über etwas nachgedacht. Das, was du da eben über Schsch, die Königin des Meeresvolkes, gesagt hast, klang nicht gerade nett.«
»Oh! Wirklich nicht?« Yomi lachte. »Na ja, vielleicht liegt das daran, dass ich die Hälfte meines Lebens auf einem Handelssegler zugebracht habe. Da weiß man nie, ob diese freundlichen Meeresbewohner einem nicht das letzte Fass Wein abknöpfen. Ich kenne nur eine Rasse, die noch schlimmer ist als die Bolemiden.«
»Falls du damit auf die Piraten anspielen willst…«
»So ist es, Gimbar, mein Freund.«
»… dann lass dir sagen, dass auch Händler eigentlich Piraten sind – nur mit einem kaiserlichen Genehmigungsbrief.«
»Ich denke, es erübrigt sich, dir die Ankunft deiner beiden Freunde anzukündigen, Yonathan«, meldete sich Felin zu Wort. »Hast du dich eigentlich jemals gelangweilt, als du mit ihnen auf Reisen warst?«
»Bestimmt nicht!«, erwiderte Yonathan und in seinen Worten lagen Freude und Erleichterung. Jetzt, wo er wieder mit seinen alten Gefährten zusammen war und noch einen neuen dazu gewonnen hatte, glaubte er jede Schwierigkeit meistern zu können.
»Konnte der Sattler dir helfen?«, fragte er Felin.
»Ja, schau.« Felin drehte den Oberkörper so, dass man das mächtige Schwert sehen konnte, das quer über seinem Rücken hing. »Ich denke, so kann ich es einigermaßen bequem transportieren.«
»Ich finde, es sieht trotzdem ziemlich sperrig aus«, warf Yomi ein.
»Kein Wunder, das Schwert ist fast so lang wie unser Prinz«, amüsierte sich Gimbar. »Gibt es irgendeinen Grund für deine plötzliche Verbundenheit mit dieser Klinge?«
Yomi und Gimbar waren gerade erst auf dem Palastberg eingetroffen und hatten noch nichts von den Vorgängen des Morgens gehört. Yonathan und Felin holten das jetzt nach.
Der Kaiser versäumte den größten Teil des Festes; er sei unpässlich, lautete die offizielle Erklärung.
Seine Gäste schien das nicht sonderlich zu stören. Auch die Laune von Yonathan und seinen Gefährten war anfangs noch gut, ihr Magen voll und das bunte Treiben auf dem Palastberg lenkte sie ab. Aber dann zog sich der Nachmittag immer
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