Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
werde nicht gehen«, rief Yonathan so laut, dass alle in der Eingangshalle es hören konnten. »Ihr sitzt da drin, Majestät, um Euren Großmut gegenüber Euren Untertanen zu zeigen. Ich bin einer dieser Untertanen und ich habe eine Bitte. Wenn Ihr mich nicht anhören wollt, wird man sagen, diese ganze Generalaudienz sei nur eine Komödie.«
Yonathan konnte den Kaiser nicht sehen und was ihn beunruhigte: Er konnte auch keine Antwort vernehmen. Er sah nur Galkh, dessen Blick zwischen dem Monarchen und ihm selbst hin und her pendelte. Die Zeit schleppte sich dahin.
Zirgis schien noch zu überlegen; vielleicht war er auch gar nicht mehr da. Oder er kochte vor Wut. Yonathan hatte keine Lust länger zu warten. Haschevet vor sich haltend schritt er auf Galkh zu.
Der Wächter wurde kreidebleich und taumelte erschrocken einige Schritte zurück.
»Ich könnte allerdings auch Euren Großen Klumpen in Schutt und Asche verwandeln«, schleuderte Yonathan dem Kaiser entgegen, sobald er ihn sah.
In den Zügen des Monarchen blitzte Furcht auf. Dann jedoch huschte ein amüsiertes Schmunzeln über seine Lippen und er sagte scheinbar seelenruhig: »Du meinst sicher den Großen Kubus, Knabe Yonathan.«
»Ich bin gekommen, um Euch zu sprechen, Hoheit.«
Zirgis, der etwa fünf Schritt vor seinem Richterstuhl stand, drehte sich um und kehrte langsam zu dem hölzernen Thron zurück. Als er sich umwandte und auf einem roten Kissen Platz nahm, hatte er sich wieder in der Gewalt. Sein Gesicht war wie versteinert, kein Zeichen von Furcht, allenfalls unterdrückte Wut war zu erkennen. Ein imposanter Lichterkranz umstrahlte ihn, geschaffen von der Morgensonne und dem bunten Glasfenster hinter dem Thron. Yonathan ließ sich davon nicht beeindrucken, ebenso wenig von dem drohenden Unterton in Zirgis’ Stimme, als er sagte: »Was willst du also von mir, Knabe Yonathan? Sprich! Aber sprich schnell, denn ich habe wenig Zeit.«
»Warum darf ich während des Festes die oberen Gemächer nicht verlassen?«
»Nur zu deiner eigenen Sicherheit! Während der Festtage befinden sich viele Personen im Palast, für die ich mich nicht mit letzter Sicherheit verbürgen kann.«
»Aber Ihr selbst wollt Euch bedenkenlos unter sie mischen?«
»Du zweifelst an den Worten des Kaisers?« Drohend richtete sich Zirgis in seinem Thron auf.
Yonathan blieb unbeirrt. »Wenn Ihr mein Ehrenwort verlangt, weder durch ein Tor davonzulaufen noch über die Palastmauern zu klettern – das könnt Ihr haben. Denn das ist es doch, was Ihr befürchtet: Ihr denkt, ich könnte Euch entschlüpfen, den Stab Haschevet Eurem Einfluss entziehen, nicht wahr?«
Felin pfiff durch die Zähne. Diplomatie schien nicht zu Yonathans Stärken zu zählen.
Der Kaiser sprang von seinem Thron auf. Dabei löste sich ein juwelenbesetzter Knopf von seinem Wams, flog in weitem Bogen durch die Luft und rollte klimpernd über den Boden. »Wenn du es so genau weißt«, donnerte Zirgis, »brauchen wir keine weiteren Worte zu verlieren. Du bleibst weiterhin in deinen Gemächern! Das ist mein unabänderlicher Entschluss. Du müsstest meinem Richterschwert schon das Schwimmen beibringen, um mich davon abzuhalten.«
Yonathan warf Felin einen fragenden Blick zu. Der Prinz deutete mit dem Kopf zur Wand, wo das kaiserliche Richterschwert hing. Felin hatte ihm die Geschichte des langen, schweren Zweihänders erzählt. Der Legende nach war Bar-Goel, Sohn des sechsten Richters, vor Jahrhunderten mit diesem Schwert zum Volkshelden geworden – und damit auch zum Kaiser. Seitdem war diese Waffe ein Symbol der kaiserlichen Macht und Gerechtigkeit.
Trotzdem wollte sich Yonathan nicht mit Zirgis’ Entscheidung abfinden.
»Gut«, sagte er, »wenn nur dies Euren Entschluss ändern kann, dann lasse ich das Schwert schwimmen.«
Zirgis stieß ein hässliches Lachen hervor. »Dieses Schwert steht für die Schärfe, mit der meine Richtersprüche zwischen Recht und Unrecht unterscheiden. Es ist kein Spielzeug aus Holz. Es war einmal ein Werkzeug des Krieges. Es hat Blut getrunken und niemand konnte sich seinem fürchterlichen Gewicht widersetzen, wenn es von Bar-Goels starkem Arm geschwungen wurde. Nie wirst du es zum Schwimmen bringen.«
»Und wenn es mir doch gelingt?«
Zirgis’ Augen bohrten sich in die von Yonathan. Er war dieses vorlauten Knaben überdrüssig.
»Dann soll es halt so sein!«, brüllte er. »Und ohne Zeit zur Vorbereitung. Ich bin deine Tricks Leid! Wir gehen sofort in den Park hinaus. Wenn du
Weitere Kostenlose Bücher