Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Yonathans Geist. All die vielen Toten! Hätte er es nur verhindern können! Aber wie? Er und seine Freunde hatten den Hinterhalt schließlich nicht bestellt. Es war nicht einmal das Werk gewöhnlicher Straßenräuber. Asons Anwesenheit bewies, wer wirklich dahinter steckte. Sethur! Der Mann, für den es nur ein Ziel gab: zu verhindern, dass Haschevet in Goels Hände gelangte.
Bar-Hazzat, Sethur, Ason. Welch üblen Geschmack diese Namen verursachten! Ason jedenfalls hatte seinen Namen bestätigt – »tödlicher Unfall«. Besorgt blickte Yonathan zu seinem Freund auf. »Wie geht es dir, Gimbar?«
Der lächelte ihn aus braunen Augen an, ein mildes Lächeln in dem sonst so unternehmungslustigen Gesicht. »Ich sollte lieber fragen, wie es dir geht, Yonathan. Ich fühle mich wie neugeboren.«
»Das bist du jetzt ja auch. Du bist nun nicht mehr Gimbar, der Pirat. Bald wird man in den Liedern von dir singen als von Gimbar, dem Zweimalgeborenen.«
»Gimbar, der Zweimalgeborene.« Der kleine Mann wiederholte die Worte langsam wie einen feierlichen Schwur. Dann hefteten sich seine Augen mit Nachdruck auf Yonathans Gesicht, er fasste seine Hand, und die Worte sprudelten nur so hervor. »Yonathan, ich weiß nicht, wie ich dir danken soll…«
»Hör auf! Danke nicht mir. Danke Yehwoh. Er hat dir das zweite Leben geschenkt. Lass mich dabei aus dem Spiel.«
»Ich habe ihm gedankt und ich werde ihm danken«, versicherte Gimbar. »Ich habe es gelobt, hier, während du geschlafen hast: An einem jeden Tag werde ich ihm für mein zweites Leben danken und ich werde dieses neue Leben ganz in seinen Dienst stellen.« Der feierliche Tonfall milderte sich etwas, als er hinzufügte: »Trotzdem hätte ich so etwas niemals vollbringen können.«
»Yehwoh kann…«
»Yonathan!« Gimbar war jetzt allen Ernstes empört. Er wurde sogar etwas laut. »Bei aller Ehre, die Yehwoh gebührt, aber du darfst dich nicht länger gegen meinen Dank verschließen. Du verdienst ihn und du nimmst ihn jetzt gefälligst an. Hast du verstanden?«
Erschrocken starrte Yonathan in die funkelnden Augen seines Freundes. Dann meinte er kleinlaut: »Ja, Gimbar, ich habe verstanden.«
»Gut.« Gimbar nickte zufrieden. Während er Yonathan auf die Beine half, die sich noch sträubten ihren Dienst zu verrichten, fiel ihm noch etwas ein. »Eines würde mich aber doch noch interessieren.« Gimbar öffnete sein ledernes Wams und das darunter befindliche Hemd. Mit leichter Beklemmung sah ihm Yonathan dabei zu. Er hatte keine Ahnung, was zum Vorschein kommen würde. Aber statt einer blutenden Wunde oder einer hässlichen Narbe machte er eine ganz andere Entdeckung.
»Das ist ein Adlergesicht!«
Wirklich. Die Wunde war auf wundersame Weise geschlossen, und man sah dort, wo der Pfeil Gimbars Brust durchschlagen hatte, ein Zeichen: das Profil eines Adlers.
»Dieses Mal stammt von Haschevet, stimmt’s, Yonathan?«
Der blickte verwirrt auf das rot vernarbte Zeichen und dann auf den goldenen Knauf des Stabes. Größe und Proportionen des Adlergesichts stimmten genau. »Wie mir scheint, hast du Recht, Gimbar. Der Stab hat dir sein Mal eingebrannt.«
»Meinst du, es ist ein Zufall, dass es gerade der Adler ist, den ich jetzt über meinem Herzen trage?«
Yonathans Finger spielten mit seinem Ohrläppchen, und verstohlen warf er einen Blick auf Gimbars Hakennase. Je länger er darüber nachdachte, umso mehr kam er zu dem Schluss, dass die Wahl sehr passend war. »Es war ganz sicher kein Zufall«, befand er schließlich. »Der Adler steht für Weitsicht und Weisheit. Während unserer bisherigen Reise hast du bewiesen, dass du beides besitzt.«
»Findest du?«
»Ganz bestimmt, Gimbar. Mit deinen Fähigkeiten hättest du es auch als Pirat weit bringen können. Aber du hast dich andersentschieden. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch Yehwoh dein Herz gesehen und dich deshalb erwählt hat.«
»Erwählt?«
»Sicher. Du willst dein Leben in den Dienst Yehwohs stellen. Er hat dieses Angebot angenommen, und das da, das ist das Siegel für diesen Bund.«
Gimbar schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich kann es nicht glauben, dass Haschevet gerade mich ausgewählt haben soll.«
»Nicht Haschevet, Yehwoh selbst bestimmt, wen er als seinen Auserwählten annimmt und wen nicht.«
Der Zweimalgeborene hatte noch Zweifel. »Ich weiß nicht, ob ich der Richtige bin.«
»Du hast mir gedankt, aber in Wirklichkeit habe ich allen Grund dir zu danken. Warst nicht du es, der sich vor
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