Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Gimbars Stelle. Wo war denn seine vollkommene Liebe, mit der Benel ihn auf die Reise nach Gan Mischpad geschickt hatte? Was nützte sie ihm? Sicher, er hatte Freunde gewonnen. Aber was war das für eine Freundschaft, die den Gefährten nur Flucht und Tod bescherte? Wenn diese Liebe Gimbar wieder lebendig machen konnte, aber so…
Yonathans Hände waren rot von Gimbars Blut und mit ihnen der Stab, dessen Knauf auf der Brust des Freundes ruhte. Langsam versiegten seine Tränen. Nur noch einen einzigen Wunsch hatte er: Gimbar zu helfen. Was hatte der sterbende Freund zuletzt gesagt? »Betet für mich.«
Yonathan betete. Betete mit einer Inbrunst wie noch nie in seinem Leben. Wenn ich nur etwas von meinem Leben für ihn geben könnte! Yehwoh! Ich gebe dir fünf Jahre, oder zehn? Er war jung. Nimm so viel du brauchst, aber gib mir meinen Freund wieder. Bitte!
In diesem Augenblick eilte der erste Sonnenstrahl des neuen Tages durch die Bäume des Waldes, tastete über die Lichtung und blieb auf Gimbars leblosem Gesicht liegen.
Yonathans Herz verkrampfte sich. Er beugte wieder seinen Kopf und weinte. Wie das Wasser einer jungen Quelle flossen seine Tränen und vermischten sich mit Gimbars Blut.
Plötzlich spürte Yonathan eine seltsame Wärme in seinen Händen, die noch immer den Stab Haschevet umklammert hielten. Der Stab leuchtete. Kein tödliches Leuchten war das, sondern ein sanftes, blaues Glühen. Eine eigentümliche Schwäche befiel ihn, eine Schwere, als hätte er eine gewaltige Last auf die Spitze eines Berges geschleppt.
Gimbars Brust, auf der Yonathans Arme ruhten, hob sich. Und senkte sich wieder. Yonathan spürte einen warmen Luftzug. Wieder hob sich Gimbars Brust und abermals senkte sie sich.
Yonathan schaute auf; sein Kopf war unendlich schwer. Ungläubig blickte er auf Gimbars Gesicht. Spielten ihm seine Sinne einen bösen Streich? Er wischte sich die Tränen aus den Augen, kniete sich aufrecht hin. Konnte es wirklich sein, dass Gimbars Gesicht weniger blass war als eben noch? »Gimbar!«, rief er. Und noch einmal: »Gimbar, mein Freund!«
Die Augenlider des Angerufenen begannen zu flirren. Wie die Flügel eines kleinen Vogels zitterten sie und öffneten sich.
»Gimbar!«, schrie Yonathan. Auch die Gefährten fielen in die Jubelrufe ein. Yomi sprang wie von Sinnen herum; Felin stand mit feuchten Augen da und lächelte; und Yehsirs stoische Ruhe war zweifelnder Freude gewichen. Er wollte noch nicht glauben, was hier geschehen war.
Gimbar hob den Oberkörper. Er sah ein wenig verstört aus, als hätte man ihn aus tiefstem Schlaf gerissen. Yonathan stützte ihn, als er sich aufsetzte und schließlich sogar aufstand. Die Umarmungen seiner Freunde brachen wie eine Lawine über ihn herein.
»Ist die Weltentaufe schon vorüber?«, fragte Gimbar unsicher.
»Das nicht, aber du musst noch einiges tun, um dich besser darauf vorzubereiten«, erwiderte Yonathan mit Tränen in den Augen. Er fühlte sich schwach! Seine Beine gaben unter ihm nach.
Sofort war Gimbar bei ihm. »Geht es dir nicht gut, Yonathan?«
Der Gefragte lächelte matt. Seine Zunge war schwer, als er erwiderte: »Es war unglaublich anstrengend.« Er fragte sich, ob Yehwoh wirklich einen Handel mit ihm eingegangen war oder ob es nicht eine große Vermessenheit von ihm gewesen war, ein solches Ansinnen zu stellen. Auf jeden Fall hatte es viel Kraft gekostet, das spürte er an seiner großen Müdigkeit. Aber das spielte keine Rolle. Hauptsache, Gimbar war wieder da…
Yonathan versank in einem Meer uferloser Erschöpfung.
Viel zu früh wurde er geweckt. Gimbars Rufe zogen ihn unnachgiebig wie eine Ankerwinde aus den lichtlosen Tiefen seines Schlummers.
»Yonathan, komm, werd schon wach! Wir müssen weiter.« Langsam kam der Gerufene wieder an die Oberfläche, aber das Gewicht des Schlafes zog ihn noch schwer nach unten. »Was… ist?«, stammelte er orientierungslos. Wo war er? Was war geschehen? »Wie lange habe ich geschlafen?«, lauteteschließlich seine erste verständliche Äußerung.
»Nur eine Stunde«, erwiderte Gimbar. Seine Stimme klang anders als sonst. Besorgt und verlegen.
Jetzt fiel Yonathan alles wieder ein. »Der Kampf!«
»Yehsir meint, es wäre klug, diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen. Wenn eine kaiserliche Patrouille uns hier – inmitten all der Unordnung – findet, dann wird man von uns einige Erklärungen haben wollen.«
Noch einmal wirbelte das Kampf geschehen wie ein brennendes Wurfgeschoss durch
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