Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
erstickte Yonathans Wissbegierde im Keim.
So überließ er sich wieder den eigenen, dumpfen Gedanken. Nur hin und wieder fragte ein Gefährte nach seinem Wohlergehen oder wollte ihm einen Dienst erweisen und alles in dieser rücksichtsvoll-ehrfürchtigen Weise, die so sehr an seinen Nerven kratzte. Am dritten Abend nach dem Kampf brach Yonathans Verzweiflung aus ihm heraus.
Eigentlich war es ein ganz normaler Abend. Yonathan und seine vier Begleiter saßen an einem kleinen Feuer. Gimbar, Felin und Yehsir berieten sich in leisem Gespräch über die Reiseroute des nächsten Tages. Yomi hatte eine duftende Suppe gekocht. Er füllte die erste Portion in eine Schüssel, schnitt von einem Laib Brot eine dicke Scheibe ab und näherte sich Yonathan. Der blonde Seemann lächelte unsicher. Als Yonathan die Holzschale und das Brot entgegennahm, wich Yomi seinem Blick aus und zog sich schnell wieder zurück. Ja, Yonathan hatte den Eindruck, der Gefährte hätte sogar eine Verbeugung angedeutet und sei erst zwei oder drei Schritte rückwärts gegangen, bevor er sich zu den anderen umgewandthatte. Das brachte das Fass endgültig zum Überlaufen.
»Jetzt reicht es!«, schrie Yonathan und beinahe hätte der Inhalt seiner Suppenschüssel sich über Gurgi entleert, die jedoch gerade noch einen Satz zur Seite machen konnte.
Vier Augenpaare starrten den Jüngsten entgeistert an.
»Ihr behandelt mich wie ein rohes Ei, das Yehwoh euch persönlich anvertraut hat, mit dem Auftrag es vor jedem Schaden zu bewahren. Aber ich bin kein solches Ei.«
»Niemand behauptet, dass du ein Ei bist«, warf Yomi ein.
Yonathan ballte die Fäuste in ohnmächtiger Verzweiflung. »Darum geht es doch gar nicht, Yomi. Ihr redet nur noch das Nötigste mit mir; tut so, als wolltet ihr mich auf keinen Fall stören; macht keine Scherze mehr mit mir; und überhaupt…« Ihm rissen die Worte ab. Tränen quollen aus seinen Augen.
»Ich denke, wir sind uns alle darin einig, dass das, was du vorgestern Morgen getan hast, eine gewisse respektvolle Behandlung verdient«, versuchte Felin ruhig sein Verhalten und das der anderen zu erklären.
»Aber was habe ich denn schon getan?«
»Du hast mir ein zweites Leben gegeben«, erinnerte Gimbar.
»Aber das war doch nicht ich…«
Felin ergriff noch einmal das Wort. »Sicher, Yonathan. Wir wissen, dass du nur ein Mittler warst. Aber vergiss nicht, dass die meisten von uns dich bisher nur als den Träger des Stabes kannten. Selbst Yomi, der noch die meisten der Machtbekundungen Haschevets mit eigenen Augen miterlebt hat, konnte nicht von so etwas berichten. Wann hat schon mal jemand einen Toten auferweckt…!«
»Aber kennt ihr nicht das Sepher Schophetim? «, rief Yonathan aufgewühlt. »Steht nicht im Buch Yehpas’, des vierten Richters, dass dieser den Sklaven von Lan-Khansib, dem Khan der Ostleute, zum Leben erweckte, nachdem das Fieber den Mann niedergestreckt hatte? Damals war es Yehwoh, der diese Dinge tat, und genauso ist es heute. Der Richter Yehpas ist immer der Mensch Yehpas geblieben und ich, ich bin nur Yonathan, nur ein Knabe und nicht mehr.«
»Vor drei Tagen bist du ein Mann geworden.« Diese Worte stammten von Yehsir.
Aber Yonathan wollte sich noch nicht geschlagen geben. »Ein Mann!«, höhnte er. »Vielleicht weil ich einen anderen Mann erschlagen habe?«
»Yonathan!«, fiel Yehsir ihm ins Wort. »In dir tobt ein Sandsturm und nimmt dir die Sicht. Du erkennst nicht einmal, wer deine Freunde sind.«
Die Worte trafen Yonathan wie ein Keulenschlag. Was war nur in ihn gefahren? Wie dumm hatte er sich aufgeführt! Er schaute zu Boden und kämpfte erneut mit den Tränen.
Trotzdem – sie sollten ihn nicht behandeln wie einen Fürsten, dem sie Geleit geben mussten. Dazu hätte er sich nicht seine Freunde aussuchen müssen.
Yehsir war erfahren genug, um zu bemerken, was in Yonathan vor sich ging. »Ich habe aus einem anderen Grund gesagt, dass du vorgestern ein Mann geworden bist. Nicht der ist ein Mann, der einen anderen töten kann. Du hast dich als ein Mann erwiesen, weil du auf dich selbst verzichtet hast.«
Unsicher hob Yonathan den Blick.
»Ja«, bekräftigte der Schützende Schatten. »Du hast nicht an dich selbst gedacht, wie es kleine Kinder tun: Das ist mein Spielzeug, ich will dies und ich will das. Schon damals, als du den Auftrag annahmst, den Stab nach Gan Mischpad zu tragen, zeigtest du Selbstlosigkeit, aber vor drei Tagen hast du es in einer Weise getan, die alles überragte. Darin
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