Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
höher und höher stieg, bis sie beinahe dreißig Fuß über seinem Kopf schwebte.
Noch einmal ertönte die hohle Stimme. »Sterbe wohl, Yonathan.« Dann explodierte die rote Lichtblase ohne einen Laut.
Vor Yonathans geblendeten Augen tanzten rötliche Lichtflecken. Nur seine Ohren nahmen noch für kurze Zeit ein sich schnell entfernendes Lachen wahr.
Stille umgab ihn dann. Absolute Stille. Und Dunkelheit. Letztere allerdings wich bald jenem kränklichen Lichtschimmer, der ihn schon beim Eintreten in den Tempelvorraum umfangen hatte. Er musste dieses Gebäude verlassen, so schnell wie möglich. Yonathan fuhr herum…
Aber die Tür war verschwunden!
Eben hatte er noch geglaubt, das schwache, rötliche Licht fiele von der Vorhalle in den Nebenraum ein. Aber das war ein Irrtum. Der wabenförmige Ausgang wollte sich trotz gründlichstem Absuchen der glatten, kalten Wände nicht finden lassen. »Dein Weg ist hier zu Ende«, hatte der Schatten verkündet, und jetzt wusste Yonathan, wie das gemeint war: Er sollte hier verhungern und verdursten.
Niedergeschlagen ließ er sich mit dem Rücken gegen eine Wand kippen und sank in die Knie. Was hätte er tun können? Die Freunde rufen und sie damit in die gleiche Schlinge locken, in der er jetzt hing? Oder Yomi einfach diesem dunklen Gehilfen Temánahs überlassen?
Nein! Aber vielleicht hätte er nicht gar so dumm in die Falle tappen sollen. Er hatte sich gewundert, warum der Stab ihm bei der Verfolgung des Schattens keine Hilfe gewesen war. Jetzt wusste er es. Er hatte kein Wesen aus Fleisch und Blut verfolgt, sondern ein Phantom. Und Yonathan, der Stabträger, war töricht genug gewesen einer so plumpen Täuschung aufzusitzen. Er hatte sich stark gefühlt durch die Macht des Stabes. Er hatte geglaubt, Yehwohs Macht nach seinem eigenen Willen lenken zu können.
Jetzt erntete er die gerechte Strafe für seine Torheit. Er war zornig auf sich selbst, aufgewühlt und niedergeschlagen. »Yonathan, du bist ein Dummkopf!«, sagte er laut.
Erschrocken horchte er auf. Etwas stimmte nicht. Seine Stimme hatte so seltsam dumpf geklungen. Wie konnte das sein? Der Raum, in dem er sich befand, war doch groß und hatte glatte Wände. Seine Stimme hätte hallen müssen. Aber sie klang gedämpft, als spreche er gegen einen dicken Samtvorhang. Als er die Ursache dieser seltsamen Veränderung erkannte, stockte ihm der Atem.
Der Raum war kleiner geworden!
Entsetzt stellte er fest, dass die Wände um ihn herum näher gerückt waren. Wie, wusste er nicht. Es war kein Knirschen zu hören von irgendeinem verborgenen Mechanismus, der die Wände verschob, den Boden anhob oder die Decke herabließ. Er selbst saß mit dem Rücken an der Wand, aber da war keine Bewegung zu spüren.
Hastig sprang er auf und eilte zu einer anderen Wand. Er drückte den Fuß in den Winkel zwischen Boden und senkrecht stehender Mauer, aber auch hier tat sich nichts. Besorgt blickte er nach oben. Schon wieder war der Raum geschrumpft. Wie konnte das sein? Kein Stein bewegte sich, und doch wurde der Raum kleiner und kleiner.
Vielleicht bin ich es, der größer wird, schoss ein Gedanke durch Yonathans aufgewühlten Geist. Aber was machte das schon für einen Unterschied? Er würde zerdrückt werden wie eine Küchenschabe!
Erschlagen ließ sich Yonathan wieder an die Wand sinken, Haschevet hielt er aufrecht zwischen den Knien. Konnte er darauf hoffen, dass seine Freunde noch zur rechten Zeit kämen und ihn hier befreiten? »Nein«, sagte er zu sich selbst und ignorierte den noch dumpferen Klang seiner Stimme. Wie sollten sie ihn hier finden?
Er spürte Furcht und eine tiefe Niedergeschlagenheit über das eigene Versagen. Leise betete er zu Yehwoh.
»Yehwoh, verzeih mir meine Torheit. Ich hätte besser auf dich hören sollen. Wenn du mich nach der Weltentaufe wieder auf dem Boden Neschans wandeln lässt, werde ich es bestimmt besser machen. Aber sorge dafür, dass wenigstens der Stab nicht zerstört wird. Niemand soll über deinen Namen triumphieren. Mach bitte, dass Haschevet rechtzeitig Gan Mischpad erreicht. Und bitte, Yehwoh, wenn es geht, mach, dass es nicht so wehtut, wenn ich hier zerdrückt werde!«
Die Zwiesprache mit Yehwoh gab Yonathan die Fassung zurück. Das schrumpfende Gefängnis war mittlerweile so klein geworden, dass er nicht mehr stehen konnte. Er bemühte sich den Atem unter Kontrolle zu halten. Vielleicht würde er ohnmächtig werden, vom Luftmangel betäubt, und nicht merken, wie ihm das Leben
Weitere Kostenlose Bücher