Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
aus dem Leib gepresst wurde. Nervös ließen seine Finger den Stab kreisen. Ausdruckslos wandten sich ihm die vier goldenen Gesichter des Knaufs zu. Yonathan dachte ans Sterben.
Plötzlich erstarrte Haschevet. Er rührte sich nicht mehr, stand unbeweglich wie eine Zeder. Heiße und kalte Schauer überliefen Yonathan. Die Decke hatte den Stab eingeklemmt. Der Raum war jetzt nur mehr eine enge Kiste, in der Yonathan wie ein gefangenes Tier zusammengekauert hockte. Er schloss die Augen, denn noch immer glühten die Wände ihn in karminroter Häme an.
Hoffentlich hält Haschevet, sorgte er sich. Yonathan blickte in sorgenvoller Angst auf den goldenen Knauf, der das rötliche Schimmern der Wände widerspiegelte. Er konnte kaum noch den Kopf heben. Gleich ist alles vorbei, dachte er.
Da sah er etwas, das seine Aufmerksamkeit fesselte: Eine feine, dunkle Linie schlängelte sich von dem Stierhorn an dem Knauf Haschevets quer über das rötlich schwelende Gestein bis in eine Ecke des erdrückenden Kerkers.
Ein Funke von Hoffnung glomm in Yonathan auf. Vielleicht konnte Haschevet ihn doch noch retten…
Da! Ein zweiter Riss gesellte sich zu dem ersten. Jetzt entstanden auch Verästelungen, schwarze Blitze in einem roten, zerfurchten Gewitterhimmel. Staub rieselte in Yonathans Haare. Der Hoffnungsfunke entfachte eine kleine, heiße Flamme. Der Stab stand unverrückbar an seiner Stelle, von einem bläulichen Glühen umgeben. Jetzt brachen kleinere Brocken aus der Decke heraus und fielen auf Yonathan nieder. Ein größeres Bruchstück traf schwer seine Schulter. Aber das nahm er kaum wahr, denn wo jener Stein gewesen war, sah Yonathan jetzt – den Himmel!
Er schrie aus Freude und Erleichterung. Aus Leibeskräften brüllte er seinen Jubel hinaus in die ewige Nacht von Abbadon.
Aber er war noch nicht frei. Die steinerne Kiste, in der er steckte, wurde noch immer kleiner. Doch das rote Glimmen war beinahe erloschen. Wie eine sterbende Kreatur schien das böse Gelass mit dem Licht auch das Leben zu verlieren.
Dann brachen einige große Stücke der Decke heraus und endlich war das Loch groß genug zum Hinausklettern. Darüber sah er die dunklen Wolken über Abbadon. Selbst dort oben war ein rötliches Licht zu sehen, jedoch ein freundliches – die Sonne musste gerade aufgehen.
Yonathan zwängte sich durch die schmale Öffnung. Die scharfen Ränder der aufgebrochenen Decke rissen an seinen Kleidern wie Raubtierkrallen, aber schließlich hatte er es geschafft.
Dann saß er auf dem Dach des Schwarzen Tempels, den kostbaren Stab neben sich, glücklich und schmutzig. Erleichtert warf er einen letzten Blick in den besiegten Kerker hinab… und fuhr zurück. Statt in eine kleine, tödlich enge Kiste blickte er in einen weiten, tiefen Raum hinab, in dem einige wenige Geröllbrocken den glatten, schwarzen Boden bedeckten.
Erschrocken riss er den Oberkörper zurück und schnappte nach Luft. Er musste weg von diesem verfluchten Ort. Sonst würde sich noch die Decke öffnen und ihn aufs Neue verschlingen.
Mit wenigen Schritten stand er an der eingestürzten Ostmauer. Hier fanden sich genügend Vorsprünge und Tritte, um unbeschadet vom Dach zu klettern. Unten angekommen, machte er sich auf die Suche nach Yomi. Er wusste, dass er in der Nähe war. Yonathan ging suchend um den Schwarzen Tempel herum und musterte sorgfältig die Umgebung.
Schließlich sah er hinter den Trümmern einer Mauer zwei ziemlich dünne Beine hervorschauen.
»Yomi!« Mit wenigen Sätzen war Yonathan bei dem Gefährten. Yomi schien in tiefen Schlaf versunken, ja er schnarchte sogar. Ein heftiges Schütteln, lautes Rufen, und Yomi schlug die Augen auf.
»Yonathan.«
»Bist du in Ordnung, Yomi?«
»Ich glaube schon. Wo warst du denn?«
»Ich? Sag mir lieber, wo du gewesen bist! Ich habe dich in dieser ganzen verfluchten Stadt gesucht.«
»Nein, ich habe dich gesucht, unheimlich lange sogar.«
»Aber du hattest doch Wache.«
»Ja, schon, aber irgendwann schaute ich nach euch und da sah ich, dass dein Lager leer war.«
»Mein Lager? Leer? Das kann nicht sein. Als ich erwachte, warst du nicht da und da bin ich aufgestanden und habe dich gesucht.«
»Lass uns nicht streiten, Yonathan. Das Ganze ist mir hier sowieso nicht geheuer. Wir sollten schauen, dass wir so schnell wie möglich hier verschwinden.«
»Ich glaube, wir haben beide Recht«, schlug Yonathan vor.
»Jeder hat den anderen nicht gesehen und jeder hat sich deshalb auf die Suche
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