Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Kopf anderer Menschen.«
»Ich habe mich nicht gedrängelt! Außerdem lenkst du nur von meiner Frage ab. Wer war die Schattengestalt, Yehsir?«
»Yonathan, dränge mich nicht meine Gedanken auszusprechen. Was ich vermute, kann ich nicht beweisen und es würde dich sehr beunruhigen, wenn ich darüber spräche. Wir alle – und ganz besonders du – haben auch so schon genugSchwierigkeiten, als dass ich diese mit meinen Überlegungen noch vergrößern müsste.«
In der Stimme des Yehsirs lag ein Klang, der Yonathan nachgeben ließ. Unter dem Turban des erfahrenen Steppenmannes brodelten unangenehme Befürchtungen, die man wohl besser ließ, wo sie waren.
In den kommenden vier Tagen kam die Karawane gut voran. Mit jeder Meile, die man zwischen sich und Abbadon brachte, hellte sich auch die allgemeine Stimmung auf. Zwei Drittel der Wüstenwanderung waren immerhin bewältigt, Grund genug für ein wenig Optimismus.
Yonathan hatte es damit noch am schwersten. Er hatte eine äußerst unangenehme Entdeckung gemacht: Das wunderkräftige Fläschchen, das ursprünglich einmal Goel gehört und das Navran ihm bei der Abreise aus Kitvar anvertraut hatte, war verschwunden! Alles Wühlen im Gepäck und die eindringlichste Befragung der Gefährten blieben ohne Erfolg. Schließlich enträtselte Yonathan die Umstände dieses schmerzlichen Verlusts. Es gab nur eine Erklärung, wo das Fläschchen geblieben sein konnte. Er hatte es sich selbst abgerissen, als er durch das schmale Loch in der Decke des Schwarzen Tempels geklettert war. Als er dann kurz darauf noch einmal in das Dämmerlicht des Gefängnisses hinabspähte, sah er nur die herabgefallenen Steinbrocken der zerbrochenen Deckenplatten. Wahrscheinlich hatte auch das Fläschchen dort gelegen. Aber das schwache Licht und der Schreck über den plötzlich wieder vergrößerten Raum mussten seine Augen blind gemacht haben.
Yehsir, Felin, Gimbar und Yomi versuchten ihn zu trösten: Schließlich hätte man das größte Stück der Mara schon durchquert und die Wasserschläuche der Packpferde seien zum Bersten voll, aber Yonathans Laune blieb für diesen Tag gedämpft. »Wir sind noch nicht am Ziel«, sagte er. »Ich habe dieses Fläschchen nicht umsonst bekommen; vielleicht werden wir noch einen hohen Preis für seinen Verlust zu zahlen haben.«
Doch zunächst lief alles glatt. Nachdem der Zug den Cedan hinter sich gelassen hatte, drang er wieder tief in die Wüste ein. Bald würde man erneut auf den Strom stoßen, der hier einen weiten Bogen schlug. Dann könnte man noch einmal frisches Wasser aufnehmen und die letzten zweihundert Meilen bis zum Garten der Weisheit in Angriff nehmen. In den zurückliegenden beiden Tagen war das Gelände wieder ebener geworden, weniger Sanddünen erschwerten das Vorwärtskommen. Wenn alles glatt ging, dann konnte die lange und beschwerliche Reise des Stabes Haschevet schon in zwei Wochen ihren Abschluss finden.
Beinahe fühlte Yonathan so etwas wie Wehmut, wenn er darüber nachdachte, dass sich die kleine Gemeinschaft, die so viele Mühen und Gefahren bestanden hatte, anschließend wieder auflösen würde. Yehsir bekäme einen neuen Auftrag von Baltan; Yomi würde wahrscheinlich auf die Weltwind zu Kaldek zurückkehren; und er, Yonathan, hatte sich vorgenommen, bei Felin zu bleiben. Wenn die Prophezeiung vom Brunnen einträfe – und daran zweifelte Yonathan nicht –, dann würde der Prinz früher oder später den Kaiserthron des Cedanischen Reiches übernehmen. Dabei brauchte er zuverlässige Hilfe, vertrauenswürdige und weise Ratgeber. Yonathan glaubte, dass er diese Voraussetzungen schon irgendwann einmal erfüllen würde. Nun, Felin würde sich in dieser Hinsicht eben noch ein wenig gedulden müssen. Geduld gehörte schließlich zu den wichtigsten Tugenden eines guten Herrschers.
»Ich fürchte, wir bekommen schlechtes Wetter.«
Die Stimme des Schützenden Schattens schreckte Yonathan aus seinen Zukunftsgedanken auf. Er kannte den schweigsamen Karawanenführer inzwischen gründlich genug, um zu wissen, dass dieser nicht über das Wetter sprach, um irgendetwas gesagt zu haben. Andere Leute mochten so etwas tun, nicht aber Yehsir.
»Was meinst du?«, fragte Yonathan.
»Dort.« Yehsir deutete Richtung Westen.
Yonathan und seine Gefährten, die ebenfalls auf die Bemerkung des Karawanenführers aufmerksam geworden waren, wandten sich um und wussten sogleich, was gemeint war: Weit hinter dem Schweif des letzten Packpferdes hing ein
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