Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
mit der Furcht zu wachsen, die er hervorrief. Nackte Feindseligkeit schlug Yonathan entgegen.
Als er versuchte die Gefühle und Absichten der dunklen Gestalt zu erforschen, war es wie ein Sprung ins Eiswasser. Geradezu körperlich spürte er die Kälte, die dieser Schemen ausstrahlte, eine mitleidlose, grabestiefe Kälte. Die Gestalt rührte sich nicht, stand nur da und verströmte Entsetzen.
Dann fiel ihm wieder Yomi ein. Dieser Jemand da vor ihm hatte seinen Freund vom Lager fortgelockt. Und die Sorge um Yomi brachte neue Wärme in Yonathans Glieder zurück. Er straffte die Schultern, hielt Haschevet wie einen Schild vor sich und hob den rechten Fuß.
»Halt!«, schallte eine Stimme wie ein Schwertstreich. »Dein Weg ist hier zu Ende, Yonathan.«
Nur mit Mühe brachte der den Fuß wieder zum Boden zurück. Die verzerrte, hohle, belustigte Stimme des Schattens verwandelte Yonathans Blut in erstarrte Lava. Nur die Hand, die den Stab hielt, schien noch ein wenig Wärme zu besitzen, die nur quälend langsam in den Körper zurücksickerte, bis er endlich wieder die Lippen bewegen konnte.
»Wer bist du? Und woher kennst du meinen Namen?«
»Ich kenne dich genauer, als du denkst, Yonathan. Du kriechst bereits viel zu lange Zeit unter meinen Augen dahin wie ein lästiges Insekt, das man mit dem Fuß zermalmt. Aber das tut nichts zur Sache. Wichtig ist, dass du hier bist.«
»O doch, das tut etwas zur Sache!«, rief Yonathan. Mutig trat er einen Schritt vorwärts, den Stab sorgfältig zwischen sich und den Schatten haltend. »Du hast Yomi vom Lagerplatz fortgelockt!«
Kratzendes, schmerzhaftes Lachen.
»Hör auf zu lachen, du Ausgeburt aller dunklen Mächte!«, schrie Yonathan außer sich. »Sag mir, wo mein Freund Yomi ist!«
Das ätzende Gekicher erstarb jäh. »Hüte deine Zunge!«, zischte der Schatten. »Diesem Tölpel ist nichts geschehen. Er schläft draußen – für die nächsten zwei- oder dreitausend Jahre etwa. Aber du wirst sein Erwachen ohnehin nicht mehr erleben.«
»Was hast du ihm angetan?«, fuhr Yonathan die bedrohliche Gestalt an. Seitdem Gimbar von dem Pfeil getroffen worden war, konnte er es nicht mehr ertragen, wenn seine Freunde für ihn leiden mussten.
»Sethur hat Recht gehabt, du bist wirklich ein kühner junger Bursche«, entgegnete der Fremde mit ausdrucksloser Stimme. »Wie gut, dass ich mich selbst darum gekümmert habe.«
»Du wirst den Stab nicht aufhalten können, selbst wenn du mich tötest«, erwiderte Yonathan trotzig.
»Bist du dir da so sicher, Menschlein?«
»Yehwoh wird dafür sorgen!«
Der Klang des höchsten Namens brachte den Schatten für einen Augenblick ins Wanken. Er wurde porös und löchrig, aber nur einen kurzen Moment lang. Dann hatte er sich wieder gefestigt.
»Genug geplaudert. Ich habe Besseres zu tun, als mir von einem Wicht wie dir drohen zu lassen. Dein Weg ist hier zu Ende, Yonathan.«
»Bist du dir da so sicher?«
Dies war das erste Mal, dass Yonathan von sich aus den Stab gegen ein anderes Wesen schwang, und verblüfft stellte er fest, dass nichts in ihm sich dagegen sträubte. Und auch das gewundene Holz und der goldene Knauf lagen besonders leicht in seiner Hand, beinahe hilfsbereit, als er ihn zum Schlag gegen das schattenhafte Wesen erhob.
Als Yonathan am weitesten ausholte, glommen dort, wo etwa die Augen sein mussten, zwei karminrote Punkte auf, denen bald noch ein dritter folgte. Der Stab verharrte in der Luft. Entsetzen griff wie eine kalte Faust nach Yonathans Herz. Wie gelähmt starrte er auf das rot glühende Dreieck. Die Arme wurden ihm schwer wie Blei. Der Stab wollte zu Boden sinken.
Aber wie eine Antwort auf das rote Glühen kleidete Haschevet sich plötzlich in ein gleißend blaues Licht. Das Strahlen des Stabes tötete die Kälte. Schnell sprang das Licht auf Yonathans Hand und Arm über, bis schließlich sein ganzer Körper glühte. Die Kälte schmolz in seinem Herzen dahin und der erstarrte Schlag wurde fortgeführt.
Doch zu spät. Der Schatten vor Yonathan löste sich auf. Der Hieb ging ins Leere und nur noch die drei roten Punkte glühten in dem finsteren Gelass des Schwarzen Tempels.
Yonathan konnte den Blick nicht abwenden von den drei glühenden Kohlen, deren mittlere nun zu wachsen begann. Sie blähte sich glimmend, wurde größer und verschmolz schließlich mit den übrigen beiden zu einem einzigen karminroten Feuerball. Der ganze Raum loderte in einem grauenhaften Licht. Yonathan sah, wie die leuchtende Kugel
Weitere Kostenlose Bücher