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Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Titel: Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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häufiger um sie drehte, bis es sie schließlich vollends umfangen hatte. Gut, hatte Jonathan zufrieden gedacht. Sie werden einander brauchen, wenn ich nicht mehr bei ihnen bin. Dann war er wieder in seine Bewusstlosigkeit gesunken.
    Doch warum ging es ihm jetzt so gut? Lag es an dem Traum, an Yonathan, seinem Traumbruder, der endlich den Garten der Weisheit erreicht hatte? Das heißt, hatte er ihn wirklich erreicht? Er war zuletzt in dem Nebel eingeschlafen. Vielleicht brauchte er Hilfe, eine Hand, die ihn stützte, um auch das letzte Stück in den Garten zu bewältigen. Jonathan wandte den Blick hinüber zum Fenster, hinter dem der Nebel waberte. Dort draußen lag Yonathan hilflos in seinem traumlosen Schlaf.
    Noch einmal blickte Jonathan zur Tür. Dann stand er auf und ging auf das Fenster zu. Für die Dauer eines Atemzuges verharrte er davor und blickte verwundert auf seine Füße, die ihn wie selbstverständlich trugen. Er erinnerte sich an ein anderes Erlebnis, als er schon einmal den Rollstuhl hatte stehen lassen und durch dieses Fenster gestiegen war. Das schien unendlich lange her zu sein.
    Jonathan schob den Riegel herum, packte die beiden Messinggriffe und öffnete das Fenster. Ohne sich noch einmal umzuwenden, setzte er einen Fuß auf die andere Seite der Fensterbank, stützte sich auf einen Stecken, den seine tastende Hand im Nebel fand, und zog das andere Bein hinterher. Sogleich begann er zu laufen. Mit Hilfe des Steckens, den er noch immer in der Hand hielt, drang er schnell tiefer in das milchige, blauweiße Element ein. Als er noch einmal zurückblickte, war von Jabbok House nichts mehr zu sehen.
    Langsam lichtete sich der Nebel. Zuerst war es nur eine Veränderung der Farbe. Das gleichförmige blauweiße Schimmern wurde mehr und mehr von gelbem Licht durchsetzt. Dann kam der Wechsel so schnell, dass er ergriffen stehen blieb.
    Er stand auf einer grünen, sonnendurchfluteten Wiese, am Rande eines wunderschönen, paradiesischen Gartens. So sehr ihn Ras in seiner Vielfalt fasziniert hatte, so sehr wurde sein Herz hier von der anmutigen Harmonie der Wiesen, Blumen, Büsche und Bäume berührt. Auch dieser Garten war alt, das spürte er, aber er schien – ganz im Gegensatz zu Ras – von einer sehr behutsamen Hand gepflegt zu werden.
    Plötzlich sah er zu seiner Rechten einen alten, nicht besonders großen Mann unter den Ästen einer gewaltigen Eiche hervortreten. Der Greis trug ein schneeweißes, weites Gewand und einen dünnen, beinahe ebenso farblosen Bart. Es war zu spüren, dass dieser Alte mehr Lebensjahre zählte als jeder andere Mensch. Und doch wirkten seine Schritte nicht schleppend.
    Zwei mandelförmige, dunkle Augen, in denen eine beinahe jugendliche Lebhaftigkeit funkelte, hefteten sich interessiert und mit einem Ausdruck stiller Zufriedenheit auf die Gestalt des jungen Ankömmlings.
    »Seid willkommen, Geschan. Aller Friede Neschans sei mit Euch. Wir haben schon sehnsüchtig auf Euch gewartet – obgleich wir an Eurem Erscheinen niemals zweifelten.«
    Jonathan blickte sich unsicher um. Doch da gab es nur den Nebel. Der Alte sprach tatsächlich mit ihm. »Ihr müsst mich mit jemandem verwechseln«, versicherte er. »Mein Name ist nicht Geschan.«
    »Und was ist das da?« Der Greis deutete auf Jonathans rechte Hand.
    »Haschevet!«, rief er und ließ den Stab vor Schreck ins Gras fallen.
    »Ihr scheint ein merkwürdiger junger Mann zu sein, Geschan. Lauft monatelang mit diesem Stab durch die Weltgeschichte und scheint Euch doch noch gar nicht richtig mit ihm bekannt gemacht zu haben. Kommt, gebt ihn mir. Ich will Euch einander vorstellen.«
    Jonathan entwand sich dem Bann des im Gras liegenden Stabes und blickte misstrauisch auf den lächelnden Alten. »Und woher weiß ich, dass ich Euch trauen kann?«
    Der Greis lächelte nur milde und sagte in einer Weise, die jedem Trug fern war: »Würde ich Böses im Schilde führen, was würde dann wohl geschehen, sobald ich den Stab berührte?«
    Daran hatte Jonathan noch gar nicht gedacht. Vielleicht verständlich, denn die Art und Weise, wie er in seine eigenen Träume gerutscht war, hatte für einige Unordnung in seinem Kopf gesorgt. Er bückte sich und hob den Stab auf. Haschevet lag quer auf Jonathans Händen. Er war leicht wie eine Feder, so als wolle er jede Erschwernis vermeiden, die seineÜbergabe an den alten Mann noch länger hinauszögern könnte. Trotzdem kostete es Jonathan große Überwindung den letzten Schritt zwischen sich und dem

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