Nesser, Hakan
Zimmer ist
es schwer, die Zeit abzuschätzen. Hunderte wortloser Gedanken flattern mir im
Kopf herum, keiner bleibt haften.
»All
right«, sagt sie schließlich. »Vielleicht geht es ja trotz allem um Sarah.
Also, es war so: Ihre Frau Winnie ist zu mir gekommen, nachdem jemand sie
aufgefordert hat, hierherzukommen, ich weiß selbst nicht genau, wie das vor
sich gegangen ist. Ich glaube... ja, ich bin ziemlich überzeugt davon, dass
sie darüber nicht hat sprechen wollen. Auf jeden Fall hat es sich nicht um ein
Zeichen in einem Traum oder so etwas gehandelt, so viel habe ich verstanden.«
»Jemand
hat sie aufgefordert?«, frage ich.
»Den
Eindruck hatte ich«, erklärt Geraldine Grimaux.
»Und
wer?«
»Wie
gesagt, ich habe keine Ahnung.«
»Dieselbe
Person, die zu Ihrem Klienten auf die Barrow gekommen
ist?«
»Ich
wiederhole: Ich weiß es nicht.«
Ich
denke eine Weile nach. »Aber das hängt doch zusammen«, sage ich. »Das mit der
Frau, dem Obdachlosen und Winnie.«
»Und
Sarah«, fügt sie hinzu. »Ja, natürlich hängt das zusammen. Aber fragen Sie
mich nicht, wie. Ich verstehe nicht, welche Kräfte hier am Werk sind.«
»Kräfte?«,
wiederhole ich.
»Ja,
Kräfte.«
Ich
nicke und trinke einen Schluck Wasser. »Und Meredith?«, frage ich. »Ich nehme
an, das ist ein Ort?«
»Es
gibt mindestens zwanzig Orte mit diesem Namen in diesem Land«, erklärt sie.
»Alles kleine Ortschaften, die nächste liegt im Norden des Staates New York. Am
Rande der Catskills, wenn Sie die kennen?«
Ich
bestätige, dass ich weiß, was die Catskills sind. Dann spüre ich plötzlich ein
Schwindelgefühl, ich weiß nicht, woher es stammt. Andererseits ist es ja kaum
verwunderlich. Ich balle die Hände, um ein wenig Energie in den Körper zu
pumpen.
»Wie
geht es Ihnen?«, fragt Geraldine Grimaux.
»Ich
weiß nicht«, sage ich. »Es fällt mir schwer... das alles zu schlucken. Worüber
haben Winnie und Sie eigentlich gesprochen? Abgesehen von dieser Botschaft,
meine ich. Sie sagen, Sie hätte sie zweimal aufgesucht?«
»Das
stimmt«, bestätigt Geraldine Grimaux. »Wir haben mindestens zwei Stunden
miteinander geredet. Ihre Frau ist eine äußerst interessante Person, Mr.
Steinbeck. Und klug. Aber hier muss ich
jetzt eine Grenze ziehen, eindeutig.«
»Hat
sie Ihnen gesagt, dass sie irgendwohin will?«
Sie
schüttelt den Kopf. »Wir haben sehr wenig über ihre kommenden Pläne
gesprochen. Wir haben über anderes geredet.«
»Und
worüber so, zum Beispiel?«
»Es
tut mir leid, Mr. Steinbeck.«
Ich
balle die Hände noch fester und starre eine Zeitlang an die Wand. Ich spüre,
dass ich die gleiche Eifersucht fühle wie damals im Haus von Peter
Brockenmeyer, als Winnie mit Martha Bowles auf
dem Sofa saß und sich unterhielt. Oder zumindest etwas in der Art, ich gebe
mir alle Mühe, es wegzuschieben, und vielleicht hat ja die grüne Wandfarbe
tatsächlich genau den beruhigenden Effekt, der ihr zugeschrieben wird.
»Aber
Sie halten es nicht für unmöglich, dass sie dorthingefahren ist?«, frage ich.
»Nach Meredith? Muss ich
sie dort suchen?«
Sie
antwortet nicht, betrachtet mich nur mit dem Ansatz einer Falte auf der Stirn.
Aus irgendeinem Grund fällt es mir schwer, ihr länger in die Augen zu sehen.
Stattdessen öffne ich die Hände und schaue auf meine Handflächen, als lägen
darin irgendwelche Informationen verborgen. Ich höre draußen auf der Straße
einen Hund bellen und in einem anderen Teil des Hauses einen Staubsauger, der
eingeschaltet wird. Wieder vergeht ein Stück nicht messbarer Zeit.
»Darf
ich wieder Kontakt zu Ihnen aufnehmen, wenn es nötig ist?«, frage ich, als ich
es nicht länger ertrage. »Ich... ich fühle mich im Augenblick ziemlich
frustriert, ich muss wohl
erst einmal in Ruhe über alles nachdenken.«
»Aber
natürlich«, antwortet sie. »Sie sind jederzeit willkommen. Aber vergessen Sie
nicht: Ich ziehe meine Grenzen. Ich muss sie
ziehen.«
»Das
ist mir schon klar«, sage ich. »Aber ich habe trotzdem noch eine letzte kleine
Frage.«
»Aber
bitte.«
»Es
gibt einen französischen Dichter mit dem gleichen Nachnamen wie Sie. Bernard
Grimaux, kennen Sie ihn?«
Einen
Moment lang erstarrt sie, und ich kann sehen, dass die Frage sie überrascht
hat. Sie holt tief Luft und lässt die Schultern sinken.
»Bernard
Grimaux war mein Großvater mütterlicherseits«, sagt sie. »Wie kommt es, dass
Sie wissen, wer er war?«
»Ich
habe einige seiner Gedichte gelesen«, erkläre ich. »Aber ich habe
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