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Nesser, Hakan

Nesser, Hakan

Titel: Nesser, Hakan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Perspektive des Gaertners
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auf.
     
    Teil IV
     
    43
     
    North
River. Der Fluss, der in zwei Richtungen fließt.
    Selbst
Mitte November hängt der Spätsommer noch in der Luft. Zumindest an gewissen
Tagen, und als wir in Höhe der Charles Street zum Hudson River Park
hinuntergehen, spiegelt sich die Morgensonne in Jersey Citys Glasfassaden auf
der anderen Seite des Wassers wider. Ich habe eine Decke über den Beinen, sie
ist nicht nötig gegen die Kälte, sie dient eher irgendwie der Diskretion. Ich
habe mich noch nicht daran gewöhnt, und ich verstehe, warum blinde Menschen
dunkle Brillen benutzen.
    Winnie
schiebt mich langsam vorwärts, wir haben es nicht eilig. Ab und zu sitzt Sarah
auf meinem Schoß, ab und zu springt sie hinunter und läuft nebenher. Sie redet
immer noch nicht. Zumindest nicht aus eigenem Antrieb. Antwortet Ja oder Nein,
wenn man sie etwas fragt, aber mehr auch nicht. Das Therapieteam von St.
Vincent, das sich an drei Tagen in der Woche einige Stunden lang um sie
kümmert, sagt, dass wir den Prozess nicht forcieren sollen, sie nicht
überanstrengen sollen, und abgesehen von der sprachlichen Zurückhaltung hat man
keine Schäden bei ihr entdeckt.
    Mr.
Edwards geht nebenher und raucht eine seiner dünnen Zigarren, es ist das erste
Mal, dass wir uns sehen, seit ich im Rollstuhl gelandet bin. Aber wir haben
mehrere Male miteinander telefoniert.
    »Das
Leben ist kein Spaziergang über ein offenes Feld«, sagt er jetzt.
    »Nein«,
bestätigt meine Frau. »Das ist es wirklich nicht, das ist eine richtige
Beobachtung.«
    »Manche
Kurven sind so scharf, dass man fast nicht mehr derselbe ist wie zuvor.«
    »Man
kann auch ein besserer Mensch werden«, sagt Winnie.
    »Auf
jeden Fall ein anderer«, werfe ich ein. »Wie gesagt.«
    Mr.
Edwards nimmt einen Zug und denkt nach.
    »Er
hat sich also das Genick gebrochen, dieser Teufel?«
    »Ich
weiß nicht, ob wir darüber reden müssen«, sage ich. »Es ist vorbei, aber es
stimmt, er hat sich das Genick gebrochen. Den einen habe ich erschossen, und dem
anderen habe ich das Genick gebrochen.«
    »Und
Sie sind davongekommen?«
    »Nun
ja, wie man's nimmt
- davongekommen«, sage ich.
    »Entschuldigung«,
sagt Mr. Edwards. »Das war bildlich gemeint.«
    »Bilder
sollen beredt sein«, sagt Winnie. »Das ist ihre Aufgabe.«
    »Ich
bin gegen Kaution frei gekommen«, sage ich. »Wie ich schon erzählt habe. Die
Untersuchungen laufen noch.«
    »Natürlich«,
sagt Mr. Edwards. »So läuft es ja immer bei uns.«
    »Winnies
Zeugenaussage war gut«, füge ich hinzu. »Es gibt alle Gründe, optimistisch zu
sein.«
    Mr.
Edwards nickt. Wir bewegen uns schweigend eine Weile weiter und schauen aufs
Wasser.
    »Abscheulich?«,
fragt er Winnie, als wir auf den Pier 42 abbiegen.
    »Abscheulich«,
bestätigt Winnie.
    »Manipulativ
und intelligent?«
    »Genau«,
nickt Winnie. »So einer, über den in diesem Land hier so gerne Filme gemacht
werden.«
    »Und
wann haben Sie gewusst, dass er es war?«
    »Sicher
war ich mir erst hier in New York. Aber der Gedanke war mir schon früher
gekommen.«
    »Aber
Sie haben der Polizei nie etwas gesagt?«
    »Ich
wusste, wozu er in der Lage war.«
    »Ich
verstehe. Und er ließ... kleine Andeutungen fallen?«
    »Sehr
kleine. Aber sie wurden deutlicher, als wir hierherkamen.«
    »All
das mit Geraldine Grimaux. War das nötig?«
    Sie
zuckt mit den Schultern. Schaut übers Wasser. »Ich weiß es nicht. Es gefiel ihm
wohl, so mit uns zu spielen. Er war eine Art begabtes Monster, vergessen Sie
das nicht.«
    »Ich
verstehe«, wiederholt Mr. Edwards.
    »Ich
lief ebenfalls Gefahr, etwas anderes zu werden... ich glaube, ich möchte im
Augenblick nicht mehr darüber reden.«
    »Entschuldigen
Sie bitte, das ist mein alter Beruf, der durchkommt.«
    »Das
macht nichts«, sagt Winnie.
    »Ich
möchte immer gern einen krummen Nagel gerade schlagen, wenn ich einen finde.«
    »Bestimmte
Nägel kann man nicht mehr gerade schlagen«, sagt Winnie.
    Mr.
Edwards nickt erneut und nimmt einen Zug. »Noch eine richtige Beobachtung«,
sagt er.
    Wir
kommen am Queen of Hearts vorbei,
einem alten, heruntergekommenen Vergnügungsdampfer, der immer noch an der
Nordseite der 42. vertäut liegt, und ich entdecke einen Hund, der langsam
direkt auf uns zuspaziert. Sarah entdeckt ihn auch, springt von meinem Schoß
und geht ihm entgegen. Seit wir zurück sind, hat sie ein zunehmendes Interesse
an Hunden entwickelt; Winnie und ich haben darüber bereits mit dem Ärzteteam
gesprochen. Ihr Vertrauen in Menschen ist

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