Nessie und die Geister der MacLachlan
Karotten zu schälen.
„Kann ich dir helfen, Tante Jessie?“ fragte Goody, als ob es ihr dringendster Wunsch wäre, Karotten zu schälen.
„Gut, setz dich zu mir. Aber vorher hol dir noch ein Messer aus der linken Schublade im Küchenschrank. Du warst bei Cedric oben?“ fragte sie dann.
„Ja, ich war oben.“
„Und was macht er?“
„Er sucht mit dem Fernglas den Loch nach Nessielein ab, Tante Jessie.“
„Soll er lieber lassen, das hat doch keinen Sinn. Da waren schon ganz andere Leute da, Erwachsene, Wissenschaftler, ganze Teams, die sind auch nicht dahintergekommen.“
„Waren sie auch schon mal bei dir und haben dich gefragt?“
„Natürlich, jedes Jahr kommen hier Leute vorbei und fragen.“
„Und? Was erzählst du ihnen?“
„Ich weiß nichts von einem Nessie.“
„Und Sarah?“
„Die ist dumm, woher soll die etwas wissen? Nein, mein Kind, es kommt keiner dahinter. Da bin ich ziemlich sicher.“ Tante Jessie lächelte jetzt beim Karottenschälen. Sie schien sich zu freuen, daß hinter das Geheimnis von Nessie niemand kam.
„Aber du weißt mehr, als du zugibst?“
Tante Jessies Mund wurde noch breiter. „Möglich. Ich weiß nur so viel, daß es nicht wichtig ist, zu erfahren, wie es mit Nessie wirklich steht.“
„Und was ist mit dem Bagpiper, dem Dudelsackpfeifer?“
„Du meinst Allister MacLachlan? Der hat überhaupt nichts mit Nessie zu tun, Kindchen. Der taucht alle heilige Zeiten einmal auf, ist aber friedlich.“
„Ist der auch von irgendeinem Hochländerregiment?“
„Nein, der nicht. Er war einer der besten Dudelsackpfeifer seiner Zeit. Er kommt immer im Kilt aus dem MacLachlan-Tartan.“
„Und wie kommt das“, Goody sah nun Tante Jessie scharf
an, „daß hier im Haus noch andere Geräusche zu hören sind?“
„Du meinst die im Radio?“
„Nein, ich meine welche, die nicht aus dem Radio kommen.“
„Zum Beispiel?“ wollte Tante Jessie wissen.
„Nun, wenn einer hört, daß da irgendwo Wasser rauscht wie in der wildesten Bran...“
„Solche Geräusche gibt es hier nicht!“ sagte Tante Jessie schnell, ohne von der Karotte aufzusehen, die sie gerade schälte. „Also, ich wohne hier lange genug, und da muß ich ja wohl wissen, welche Geräusche es gibt. Frag Sarah, nicht einmal Sarah wird sagen, daß sie so etwas gehört hat. Warte, ich rufe sie gleich. Sarah!“ brüllte sie.
Tante Sarah kam sofort angelaufen. „Was ist denn, brennt es, oder bist du ganz verrückt geworden?“
„Ich nicht“, antwortete Jessie spitz. „Antworte, Sarah, hast du hier im Haus ein Untier im Wasser toben hören? Sag es sofort!“
„Hier im Haus?“ fragte Sarah. „Nein, niemals.“
„Da hörst du es, Kind, niemals. Und Sarah hat feine Ohren, schließlich hat sie einmal Unterricht im Geigenspielen gegeben. Nicht wahr, Sarah?“
„Ja, und das hab ich viele Jahre getan. Ich hab sogar den berühmten Geiger
„Ist schon gut, Sarah, die Geschichte kennen wir. Bei den Festspielen in Edinburgh, damals vor vielen Jahren...“
„Ich erzähle dir die Geschichte ein andermal, Goody“, versprach Sarah. „Du siehst wieder einmal, wie unerzogen meine
Schwester ist. Schon als Kind ließ sie die Leute nicht aussprechen.“
Der Streit wäre noch weitergegangen, wäre nicht Cedric in großer Eile die Treppe heruntergepoltert.
„Was ist denn los, mein Baby?“ fragte Jessie.
„Baby!“ wiederholte Goody spöttisch.
Cedric hatte eine wichtige Botschaft, darum achtete er nicht auf Formsachen. „Im Loch, genau in der Mitte zwischen unserem und dem Ufer drüben...“
„Was?“ fragte Jessie.
„Da ist plötzlich Wasser aufgesprudelt.“
„Und danach?“
„Ist ein Wasserwirbel dagewesen, wie im Waschbecken, wenn das Wasser abfließt.“
„Das haben schon viele gesehen, aber glaub mir, mein Baby, das ist nichts anderes als eine Überreizung der Augen. Du starrst die ganze Zeit auf den Loch hinaus, und dann siehst du etwas, was es gar nicht gibt.“
„Aber dieser Wasserwirbel war wirklich da, ich...“ Cedric hielt ein, denn plötzlich war wie von ferne Dudelsackmusik zu hören. Er brauchte die anderen nicht zu fragen, ob sie auch die Musik hörten. Er konnte es von ihren Gesichtern ablesen.
„Allister“, flüsterte Sarah, und sie sah nicht aus, als hätte sie nicht die geringste Furcht.
„Scheint so“, meinte Jessie. „Nur die Ruhe bewahren. Verstanden? Gafft ihn nicht an wie eine Erscheinung, dann geht er bald wieder.“
Die Musik wurde lauter, und jetzt
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