Nesthäkchen 02 - Nesthäkchens erstes Schuljahr
vielen Dank, Mizi, und besuche mich auch recht bald«, rief Annemarie, noch immer zurückwinkend, als sie schon ein ganzes Stück von dem Hüttlein der Himbeermizi fort war.
Nachdenklicher, als das sonst ihre Art war, ging Nesthäkchen heute neben Fräulein Lena her.
»Es ist schrecklich traurig!« stieß die Kleine schließlich mit einem schweren Seufzer hervor.
»Was denn, Annemiechen?«
»Daß die arme Mizi ihre Eltern den ganzen Tag nicht sieht und kein Fräulein hat, nicht einmal eine Hanne, die ihr Mittagessen kocht. Ja, gar keine richtige Schulmappe!« Jetzt weinte sie fast.
»Kind, Mizi ist trotz aller Armut ein glückliches Kind, weil sie, so klein sie auch ist, sich nützlich macht und ihre Pflicht tut. Und wenn die Eltern abends von der Arbeit heimkehren, denke nur, Annemiechen, wie sie sich da wohl über ihr fleißiges Töchterchen freuen werden.«
»Geben sie ihr auch einen Kuß?« fragte Annemarie ein wenig getrösteter.
»Freilich«, nickte Fräulein Lena zur Erleichterung der Kleinen. Da schmiegte Nesthäkchen in einer plötzlichen, liebevollen Aufwallung das Gesichtchen an Fräulein Lenas Arm und flüsterte: »Ich danke dir schön, Fräulein, daß du mich vorhin im Walde gerufen hast, sonst wäre ich sicher unartig gewesen und ohne Erlaubnis mit der Mizi mitgegangen.«
»Na, das ist ja diesmal noch gut abgelaufen. Aber meine kleine Annemie soll auch ohne mich stets daran denken, das Rechte zu tun. Wenn du Sonntag nicht mit auf die Schneekoppe gedurft hättest zur Strafe, das wäre doch traurig gewesen, was?«
»Au, fein -Sonntag geht's auf die Koppe!« Nesthäkchen machte vor Freude einen hohen Luftsprung. Aber noch jemand machte einen Luftsprung, und zwar einen noch viel höheren als Annemarie. Das war das schneeweiße Kätzchen in Mizis Schultasche.
Hops - da war es aus dem dunklen Gefängnis heraus -heidi - da jagte es davon über Stock und Stein. Spornstreichs lief es zu Mizis Hüttlein zurück.
»Meine Katze, mein süßes, kleines Kätzchen!« stieß Nesthäkchen, das vor Schreck zuerst förmlich erstarrt war, hervor. Laut schreiend wollte es hinter der davonspringenden kleinen Katze her.
Aber Fräulein Lena hielt Annemarie fest.
»Laß das Kätzchen, Kind, es läuft zurück zu seiner Mutter und zu seinen Geschwistern. Wie war' dir wohl zumute, wenn plötzlich ein Fremder dich deiner Mutti nehmen möchte? Und Klaus, der Nichtsnutz, würde am Ende das kleine Tierchen quälen. Laß es lieber bei der Mizi. Da ist es besser aufgehoben. Du kannst es ja oft besuchen«, setzte Fräulein hinzu, als Annemarie ein grenzenlos enttäuschtes Gesicht machte.
So mußte Nesthäkchen, das am liebsten alle fünf Kätzchen gehabt hätte, mit der leeren Tasche heimziehen. Jedoch, als sie einige Tage später Mizi ihr Eigentum zurückbrachte und gleichzeitig den Kätzchen einen Besuch abstattete, da fand die jubelnde Mizi eine wunderschöne Schulmappe in der alten, zerrissenen Tasche. Auf dem Zettel, der dabei lag, aber stand: »Von dem guten Berggeist Rübezahl.«
Nesthäkchen lernt stricken
Die kleinen Reisenden waren alle wieder, rotbäckig und sonnenverbrannt, in die Klasse eingerückt.
Annemarie hatte mit ihrer Freundin Margot ein jubelndes Wiedersehen gefeiert. Außer einer schwer zu entziffernden Ansichtskarte hatten die kleinen Freundinnen nichts voneinander gehört.
Umso eifriger gingen die kleinen Mündchen jetzt. Sie schienen alles in den fünf Wochen Versäumte auf einmal nachholen zu wollen. Als Fräulein Hering ihre Klasse zur ersten Stunde nach den großen Ferien betrat, herrschte dort ein Mordsspektakel.
»Ich hatte einen rotweißen Badeanzug -ich einen blauen - und wir sind jeden Tag barfuß gewatet - wir hatten eine süße, kleine Ziege - haach, bloß eine Ziege, bei uns in Mecklenburg gab's hunderttausend Kühe und Gänse -ätsch, wir haben doch aber eine Wagenfahrt gemacht - und ich war doch sogar auf der Schneekoppe, die reicht bis an die Wolken heran«, überschrie Annemarie gerade die anderen, als Fräulein auf den Klassentisch klopfte.
»Ruhe!« rief Fräulein Hering, aber der Radau war lauter als ihre Stimme.
Die kleinen Mädchen hatten während der langen Ferien vollständig die erste Schulregel: »Nur die Gefragte hat zu sprechen!« vergessen.
Einen Augenblick sah die junge Lehrerin fast ratlos in diesen Tumult.
Dann ergriff sie kurz entschlossen Annemarie Braun, die Lebhafteste von der ganzen kleinen Gesellschaft.
»So, Annemie, nun tritt mal vor und erzähle
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