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Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim

Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim

Titel: Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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Tante wieder. Wie heißt du denn?«
    »Annemarie heiß ich«, antwortete Nesthäkchen weinerlich.
    Der nette alte Herr spähte hinaus. Ein blonder Damenkopf neigte sich aus einem Fenster: »Annemarie, Annemarie, wo bist du?« rief es in höchster Angst.
    »Annemarie ist hier bei uns, Tante Lenchen!« mit dröhnender Stimme rief es der alte Herr zurück.
    Trotz des Prustens der sich in Bewegung setzenden Lokomotive hatte Tante Lenchen die Worte noch vernommen und war beruhigt.
    In rührender Weise sorgten die Mitreisenden für das fremde kleine Mädchen. Sie gaben dem hungrigen Kind von ihren eigenen Vorräten. Das ganze Abteil war wie eine einzige Familie. Man sprach von nichts anderem als von der voraussichtlichen Kriegserklärung.
    Am Nordostseekanal tauchten die ersten Soldaten auf.
    An den Rockärmel des alten Herrn gelehnt, schlief Annemarie sanft bis Hamburg.
    Denn der kurzen Nachtruhe und der furchtbaren Aufregung folgte jetzt eine starke Abspannung.
    In Hamburg, wo sich Nesthäkchen dankbar von ihrem Beschützer trennte, fand es Frau Clarsen und Tante Lenchen freudestrahlend wieder. Erstere fuhr von hier aus mit Annekathrein nach Kiel, wo das Kind zu Hause war. Das gab einen zärtlichen Abschied von Frau Clarsen und Klein-Annekathrein. Immer wieder küßte Annemarie die weißhaarige Frau, die so treulich für sie das Jahr über gesorgt hatte.
    Dann bestieg Tante Lenchen mit ihren beiden Schützlingen den bis auf das letzte Plätzchen von den aus allen Seebädern Flüchtenden besetzten D-Zug nach Berlin.
    Draußen im Gang auf einer Hutschachtel thronte Nesthäkchen die ganze Zeit über, eingepfercht zwischen lauter Gepäckstücken.
    Unbeschreiblich war das Gewimmel auf dem Lehrter Bahnhof, als man endlich Berlin erreicht hatte.
    »Wir lassen unser Gepäck ruhig auf der Bahn, es ist unmöglich, es heute herauszubekommen. So schnell wie möglich wollen wir zu euren Eltern nach Hause«, sagte Tante Lenchen und winkte einem Auto.
    In den Straßen sahen sie aufgeregte Menschengruppen, die sich vor den Zeitungsanschlägen zusammenballten.
    Die Kriegserklärung war soeben bekanntgegeben worden. Beklommen und schweigsam fuhren die drei ihrem Ziele zu. Was würde nun werden?
    Kurts Eltern, die das Telegramm rechtzeitig erhalten hatten, schauten schon vom Balkon nach ihrem Jungen aus.
    Annemarie versprach, den Freund bald zu besuchen, dann ratterte das Auto weiter.
    »Wenn nur Vater und die Jungen schon da sind!« Jetzt erst, wo sie wirklich in Berlin war, wagte sich die Wiedersehensfreude bei Annemarie hervor. Hatte sie doch ihre Lieben ein ganzes Jahr lang nicht gesehen. Mutti war sicherlich noch in England.
    Vor dem hohen Hause mit dem kleinen Vorgarten hielt das Auto. Nanu - keiner auf dem Balkon? Klaus kam nicht die Treppe herabgesaust, wie Annemarie es sich vorgestellt hatte? Ganz bestürzt blickte sie, während Tante Lenchen den Fahrer bezahlte, zu den Fenstern empor.
    Da trat der Hausmeister aus der Tür.
    »Herreje - Nesthäkchen - na, wieder da, Fräuleinchen ? Du bist die allererste, von die Herrschaften is noch keiner zurück, auch die Hanne is noch in ihrer Heimat.«
    Nesthäkchens Gesicht wurde noch bestürzter.
    Gar keiner von ihren Lieben in Berlin - doch - einer kam aus der Portierloge herausgestürzt mit lautem Gebell und seligen Freudensprüngen - Puck, den Doktor Braun während der Reise bei dem Pförtner in Pension gegeben hatte. Der leckte seiner kleinen Freundin vor Wiedersehensglück die Hand, und es hätte nicht viel gefehlt, so hätte ihm Annemarie mitten auf sein kaltes, schwarzes Schnäuzchen einen Kuß gegeben. Doch wenigsten einer von der Familie!
    »Ja, was mache ich nun mit dir, Annemarie, wo liefere ich dich nun bloß ab?« überlegte Tante Lenchen.
    »Entweder bei der Großmama, falls die schon aus Harzburg zurück ist, oder bei Thielens hier im Hause. Margot Thielen ist nämlich meine beste Freundin von früher«, erklärte das kleine Mädchen.
    »Also zur Großmama. Die hat das erste Anrecht darauf, zu wissen, daß du in Berlin bist. Vielleicht macht sie sich schon um dich Sorgen«, entschied Tante Lenchen.
    Ja, das tat die Großmama freilich. Ihre Gedanken beschäftigten sich damit, ob das Kind auf seiner Nordseeinsel nicht von der Heimat abgeschnitten werden könnte.
    Da klingelte es und - Nesthäkchen stand braungebrannt und vergnügt, leibhaftig vor der sich sorgenden Großmama.
    »Tag, Großmama, da bin ich wieder. Aber beinahe wäre ich ins Meer gefallen, wie meine arme Puppe

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