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Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Titel: Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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den Mund.
    Aber Annemarie stieß ihn so unsanft zur Seite, daß er der Kinderhand entsprang und unter den Klassenschrank rollte.
    »Von dir nehme ich nichts geschenkt!« rief sie verächtlich.
    Vera schossen die Tränen in die Augen, während sie sich bückte, um ihren Apfel auszuheben. Die prächtige Frucht, über die sie sich so gefreut, schmeckte ihr jetzt gar nicht.
    »Ich gehe nicht mehr in die Schule«, erklärte Vera zu Hause bei der Tante nach dieser schroffen Abweisung weinend. Trotzdem sie Deutsch sprechen sollte, gebrauchte sie, wenn sie erregt war, nur die polnische Sprache. Ihr Vater war meist auf Reisen gewesen, und die Dienstboten, denen Vera überlassen war, sprachen nur Polnisch.
    Die Tante, eine Schwester ihres Vaters, verstand Polnisch. Sie war vor ihrer Verheiratung viel in Czernowitz im Hause ihres Bruders gewesen, da Veras Mutter, eine Polin, früh gestorben war. »Warum denn nur, Herzchen?« fragte sie ganz erstaunt.
    »Die Kinder sind so häßlich zu mir - keins will mit mir gehen - ich will wieder nach Czernowitz zu meinen Freundinnen!« weinte die Kleine schmerzlich.
    »Sprich Deutsch, Vera!« mahnte die Tante. »Wenn du stets nur Polnisch redest, verstehen dich die Kinder in der Schule nicht. Dann ist es erklärlich, daß sie nicht mit dir gehen mögen. Je schneller du Deutsch lernst, um so rascher wirst du dich mit ihnen anfreunden.« So tröstete die Tante.
    War das wirklich nur der einzige Grund? Aber Annemarie und Margot waren doch in der ersten Pause, wo sie sich ebensowenig verständigt hatten, so nett mit ihr gewesen.
    Auch ihr Vater, der als Freiwilliger gegen die Russen bei Augustow kämpfte, antwortete seinem Töchterchen aus ihren Klagebrief, sie müsse möglichst schnell die Sprache der Kinder erlernen, dann würde es sicherlich besser mit dem Verkehr werden. Run gab sich Vera grenzenlose Mühe, sich die schwere deutsche Sprache zu eigen zu machen.
    »Ist es nicht unrecht von uns, daß wir uns so abscheulich gegen Vera Burkhard benehmen?« sagte eines Tages Ilse Hermann zu ihrer Freundin Marlene Ulrich zweifelnd. »Sie kann doch eigentlich nichts dafür, daß ihre Mutter Polin war! Und ihr Vater soll ja Deutscher sein!«
    Auch Marlene hatte schon ähnliches gedacht. »Wollen wir sie auffordern, mit uns zu gehen?«
    »Nee, dann ist Annemarie mit uns schuß, und alle Kinder halten uns für unpatriotisch!« Die gute Regung in den Herzen der beiden kleinen Mädchen wurde durch falsche Scham wieder erstickt.
    Annemarie Braun trieb es am schlimmsten mit ihrer Feindschaft gegen die »Polnische«. Diesen Spitznamen hatten die bösen Mädel Vera angehängt. Sie fühlte die Verpflichtung, den andern mit »gutem Beispiel« voranzugehen.
    Heute regnete es vom Himmel, was nur herunter wollte. Annemarie hatte keinen Schirm. Jeden Tag vergaß sie in ihrer Unbedachtsamkeit irgendwas anderes. Mal den Federkasten oder ein Heft, mal das Frühstück oder die Gummischuhe. Heute war es zur bwechªung der Regenschirm. Sie hatte es zwar gleich morgens früh unten aus der Straße gemerkt, aber war in ihrer Sorglosigkeit nicht noch mal umgekehrt. Sie ging ja mit Margot Thielen, die hatte sicher einen Schirm, die vergaß nichts. Die nahm sie gern mit unter ihr Regendach, das war auch viel gemütlicher.
    Nun mußte sich Margot aber unglücklicherweise gerade heute von der Schule aus mit ihrer Mutter treffen, die für ihr Töchterchen einen Wintermantel besorgen wollte.
    »Bis mittags kann es lange aufhören zu regnen«, tröstete sich Annemarie.
    Es hörte aber nicht aus, im Gegenteil, es regnete »kleine Schusterjungs«, wie der Berliner zu sagen pflegt.
    Selbst Doktors Nesthäkchen, dem solche kleine Dusche nichts weiter auszumachen pflegte, war das ein bißchen zu toll. Es lief, so schnell es nur konnte, möglichst an den Hausmauern entlang, an denen die Balkone etwas Schutz gaben, zur Bahnhaltestelle.
    Da hörte sie einen eiligen Schritt hinter sich, es hörte sich an, als ob jemand sie einholen wollte.
    Annemarie wandte den Kopf. Ein Schulkind kam mit einem Regenschirm hinter ihr hergejagt. Der Schirm verbarg das Gesicht der Betreffenden. Annemarie blieb jedenfalls stehen und ließ das Mädchen näher kommen. Vielleicht war es aus ihrer Klasse, oder sie kannte es, daß sie es bitten konnte, sie bis zur Haltestelle mit unter ihren Schirm zu nehmen.
    Der eilig laufende Regenschirm kam heran - ein zartgerötetes, seines Gesichtchen, von feuchten, schwarzen Locken umrahmt, ward unter braunem

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