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Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Titel: Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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naß, als daß sie noch länger neben der Feindin stand.
    Merkwürdig - Doktors Nesthäkchen war heute gar nicht so von Herzen vergnügt wie sonst. Still und bedrückt ging es umher. Ihr häßliches Verhalten gegen Vera ließ keine Fröhlickeit bei Annemarie auskommen. Hatte sie recht gehandelt? Zum erstenmal wurde sie an sich selbst zweifelhaft. Und war doch immer so stolz aus ihre Vaterlandsliebe gewesen, welche die Feindin von jeder Gemeinschaft ausschloß.
    Ob sie sich bei Großmama Rat in ihrer Bedrängnis holte? Ach, Großmamas warmherziges Wesen würde es gar nicht begreifen, daß man so schlecht zu einem anderen Kinde sein konnte. Nein, vor Großmamas gütigen, klaren Augen schämte sie sich.
    Und Fräulein? Die würde ihr sicherlich auch unrecht geben, Annemarie fühlte es deutlich.
    Wenn doch Mutti da gewesen wäre! Mutti würde sie verstehen und ihr helfen! Nesthäkchens Sehnsucht nach der fernen Mutter war noch niemals so stark gewesen wie an dem heutigen Tage.
    Hans hatte Pfadfinderdienst. Aber Klaus steckte nebenan im Zimmer Fähnchen aus die große Kriegskarte. Er verfolgte jede Änderung in der Front mit einem Eifer, den er niemals seinen Schulbüchern gegenüber zeigte.
    »Kläuschen,« Annemarie legte dem Bruder die Hand auf die Schulter, »du, ich muß mal was mit dir besprechen.«
    Klaus ließ sich nicht stören, sein schwarz-weiß-rotes Fähnchen nach Ypern heranzuschieben.
    »Haste was ausgefressen?« fragte er gleichmütig.
    »Nee, das heißt, ich weiß nicht!«
    Klaus sah sie ziemlich geringschätzig an. Na, das wußte er immer, wenn er was ausgefressen hatte.
    »Ich habe dir doch von der ‚Polnischen‘ in unserer Schule erzählt?« begann die Schwester wieder.
    »Jawoll« - Klaus wurde aufmerksam. »Habt ihr sie vertobakt?«
    »Nee, aber ich bin so gemein zu ihr. Heute hat sie mir ihren Regenschirm angeboten, und - und ich - ich habe nicht mal die fünf Pfennige in der Elektrischen für sie ausgelegt.« Annemarie wurde in Erinnerung daran wieder rot.
    »Haste ganz recht getan - unsere Feinde sind gegen uns auch gemein, dann müssen wir es auch gegen sie sein!« Da hatte sich Nesthäkchen einen schlechten Ratgeber ausgesucht.
    »Übrigens, Annemie, am Ende ist die überhaupt eine russische Spionin!« Klaus hatte nämlich augenblicklich die Spionenkrankheit. Jeden etwas fremdländisch aussehenden Menschen hielt er für einen Spion. Neulich hatte es ihm sogar eine Ohrfeige eingetragen, weil er einen Polizisten auf einen mit einem Amerikaner englisch sprechenden Herrn aufmerksam gewacht hatte. Der hatte sich, nachdem er sich ausgewiesen, zu Klaus umgedreht und ihm handgreiflich klar gemacht, daß dies eine echte deutsche Backpfeife war, die er ihm verabfolgte. »So, mein Junge, du wirst sobald nicht wieder jemand mit deinem Spionenverdacht lästig fallen!«
    Aber Klaus war durch eine Ohrseige noch lange nicht kuriert. Auch jetzt stand es bombenfest bei ihm, daß Annemaries ‚Polnische‘ eine Spionin sei.
    Ob Klaus recht hatte? Dann war sie ja noch gar nicht abstoßend genug gegen Vera gewesen. Spione sind ehrlose Menschen, die für Geld Landesverrat üben, das hatte Hans ihr erst neulich erklärt. Und so eine sollte Vera sein? Das Bild des lieblichen, kleinen Mädchens tauchte vor Annemarie auf - nein, das war doch nicht denkbar! Aber stand jetzt nicht in allen Bahnen. »Soldaten! Vorsicht bei Gesprächen! Spionengefahr!«? Dann mußte es auch welche in Berlin geben. Warum sollte die polnisch sprechende Vera eigentlich keine sein? Es war ja auch so beruhigend, dies anzunehmen. Die Gewissensbisse, die Nesthäkchen den ganzen Tag wegen ihres häßlichen Benehmens Vera gegenüber gequält hatten, schwiegen im Augenblick.
    Am nächsten Tage ging in der sechsten Klasse wiederum ein Zettel während der Geschichtsstunde heimlich unter dem Tisch herum, daraus stand . »Vorsicht bei Gesprächen! Spionengefahr!«
    Jede in der Klasse wußte, wer damit gemeint war.

Weihnachtsabend im Lazarett.
     
    Von diesem Tage an war Vera noch vielmehr gemieden als zuvor. Selbst die, welche ihr schon freundlichere Empfindungen entgegengebracht hatten, Ilse und Marlene, stießen jetzt mit in dasselbe Horn. Eine Spionen - pfui!
    Es ging so weit, daß die Kinder keine laute Unterhaltung mehr wagten, wenn Vera in der Nähe stand. Denn meist sprachen sie doch jetzt vom Kriege und von den Briefen, die ihre Angehörigen aus dem Felde heimsandten. Sie flüsterten sich ihre Mitteilungen zu und warfen dabei scheue Blicke auf

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