Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg
sein?
Endlich Nachricht.
Der erste Weihnachtsfeiertag blinzelte durch die Spalte des Fenstervorhanges in das Kinderzimmer. Da drinnen in dem weißen Bett blinzelte ebenfalls jemand - Nesthäkchen. Annemarie hatte sich durch den weiten Schulweg so an das frühe Aufstehen gewöhnt, daß sie selbst jetzt in den Ferien nicht ausschlafen konnte.
Es war auch ganz gemütlich, noch ein wenig im Bett zu dösen und an den gestrigen Weihnachtsabend zu denken. Eigentlich war er hübsch genug dafür ausgefallen, daß die Eltern nicht dabei waren. Zuerst freilich, als Fräulein zur Bescherung läutete, und Vater und Mutti unter dem brennenden Weihnachtsbaum fehlten, der war es Annemarie heiß in die Augen geschossen. Aber sie hatte die Zähne fest zusammengebissen - nein, Großmuttchen durfte nicht merken, daß sie traurig war. Die gute Großmama! Mit wieviel Liebe hatte sie jedes Enkelkind bedacht und jedem seine geheimsten Wünsche abgelauscht. Da wollte sie nicht undankbar sein. Eine süße, kleine Uhr hatte Annemarie bekommen, schon lange ihr sehnlichster Wunsch. War es da ein Wunder, daß die Traurigkeit schnell verflog?
Und was hatte sie selbst für Freude bereitet! Großmama sollte die Mutti doch auch nicht vermissen, da hatte Nesthäkchen statt ihrer der Großmama, die für alles sorgte, den Weihnachtstisch aufgebaut. Etwas merkwürdig war er zwar ausgefallen. Da gab es einen Haken für das Schlüsselbund, daß immer Reißaus nahm, und eine Stahlbrille, um die goldene Brille zu suchen, wenn die, was öfters geschah, verlegt war. »Nanu, wollene Ohrenklappen, ja, soll ich denn an die Front, Herzchen?« hatte die Großmama lachend gefragt. Und als Annemarie ihr erklärte, daß sie für Ohrenreißen bestimmt seien, weil Großmama neulich nacht daran gelitten, da lachte die alte Dame noch weit mehr. Aber auch Süßigkeiten gehörten zu einem richtigen Weihnachtstisch. Eine Stange Lakritze, für zwei Pfennige Johannisbrot und Gummizucker, alles was Nesthäkchen selbst gern naschte, hatte sie der Großmama aufgebaut. Da war es kein Wunder, wenn auch der Großmama die ernsten Gedanken, die gerade heute zu ihren fernen Töchtern hineilen wollten, zerflatterten, und die Freude an den Enkelkindern die Oberhand gewann. Und als Tante Albertinchen mit den grauen Ringellöckchen noch gar durch einen für die Soldaten zu klein geratenen Kopfschützer von Annemarie erfreut wurde, im Fall sie mal Zahnweh bekam, der herrschte trotz der Abwesenheit der Eltern frohe Stimmung im Braunschen Hause.
Eigentlich verstand Annemarie jetzt im Morgengrauen gar nicht, daß sie gestern so vergnügt gewesen. Wo nicht mal ein Weihnachtsgruß von Mutti gekommen war! Dachte denn Mutti gar nicht mehr an ihre Kinder?
In dem Nebenzimmer rumpelte Hannes Teppichmaschine. Fräulein wollte noch immer nicht aufwachen. Die Türglocke schellte - der Briefdurchwurf klappte herunter - wie der Wind war Annemarie aus dem Bett und draußen. Täglich kehrte sie enttäuscht von ihrem Morgenausflug wieder zurück, sicher würde es auch heute so sein.
Die Zeitung, eine Feldpostkarte an Hans, aber hier dies - Nesthäkchens Augen wurden unnatürlich groß. Das waren doch Muttis liebe Schriftzüge, die sie schon mehrere Monate nicht mehr gesehen. - »Großmama - Fräulein - ein Brief - ein Brief von der Mutti!« Annemarie brüllte es durch das noch schlafende Haus, als ob Feuer wäre.
Aus allen Türen kamen sie herbeigestürzt in den sonderbarsten Verkleidungen. Aber wer achtete in diesem Augenblick darauf, daß Großmama in der begreiflichen Aufregung ihren lila Schlafrock verkehrt, mit der Futterseite nach außen, übergestreift hatte! Wer sah, daß Fräulein sich statt in ihr warmes Umschlagtuch, in die Tischdecke gewickelt hatte, und das Hans in der Eile in die Hosen von Klaus hineingefahren war, alle Augen waren nur auf den Brief aus dünnem, überseeischem Papier gerichtet, den Nesthäkchen jubelnd wie eine Siegesfahne in der Luft herumschwenkte.
Die stets ängstliche Großmama merkte nicht einmal, daß Annemarie als Barfüßchen herumlief, und das wollte viel sagen.
An Großmama war der Brief gerichtet. »Meine Brille, Herrgott, wo ist denn bloß meine Brille jetzt wieder hin?«, in höchster Aufregung begann Großmama zu suchen. Annemarie brachte schnell die Weihnachtbrille herbei; wie gut, daß sie Großmama die geschenkt. Aber als Großmama sie auf die Nase setzte, um nun endlich den Brief zu lesen, da waren keine Gläser drin.
»Die sollst du dir erst
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