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Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Titel: Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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getreuen Tochter und Mutter.«
    Still, ganz still war's, nachdem Hans geendet. Großmama wischte sich mit dem Handrücken eine Träne aus den Augen. Den Kindern aber war es, als ob endlich wieder die Stimme der geliebten Mutter zu ihnen gesprochen. Der Obersekundaner als reifster, empfand schon, was es für die Mutter hieß, Deutschlands größte Zeit im Lande der Feinde durchleben zu müssen. Jeden Sieg, über den man daheim jubelte, verkleinert oder in lückenhafter Entstellung zu erfahren. Nesthäkchen flüsterte ganz leise, ganz sehnsüchtig: »meine Mutti!« vor sich hin, Klaus aber war nicht sehr empfänglich für weichere Empfindungen. Dessen derbe Jungennatur bedrückte die Stille. Darum war er der erste, der sie unterbrach.
    »Natürlich sind unsere Nachrichten an Mutti auch von den Engländern gemaust worden, das ist ja klar wie Kloßbrühe. Ich habe als Überschrift über jeden Brief gesetzt: Gott strafe England! Das werden sie nicht gern ins Land hinein lassen wollen.«
    Lautes Gelächter folgte den Worten.
    »Ja, mein Junge, wenn Du Deinem Herzen so unumwunden Luft gemacht hast, kannst Du ihnen das auch nicht verdenken. Na, Gott sei Dank, daß überhaupt Nachricht da ist, und das Muttchen wieder gesund ist!« Die alte Dame fühlte ihr Herz ein ganz Teil erleichtert.
    »Das ist mein schönstes Weihnachtsgeschenk, das Muttchen geschrieben hat«, sagte Annemarie mit leuchtenden Augen. Dann aber wandte sie sich ein wenig erschreckt an Großmama: »nimmst Du's auch nicht übel, Großmuttchen, aber mit Deiner Uhr habe ich mich beinahe ebenso gefreut!« Nachdem Großmama Nesthäkchen versichert, daß sie es sehr gut verstehen könnte, daß ein Kind den lang ersehnten Brief der Mutter über alle Geschenke setzte, ging Annemarie beruhigt ans Ankleiden. Auch die übrigen vervollständigten ihren Anzug.
    In früheren Jahren hatte Nesthäkchen die Weihnachtsfeiertage mit ihren neuen Spielsachen gespielt, oder die geschenkten Weihnachtbücher von Anfang bis Ende gleich durchschmökert. Heute gab es anderes zu lesen.
    Den ganzen Vormittag saß Annemarie über Muttis Brief; sie kannte ihnen bald Wort für Wort auswendig. Denn er sollte dem Vater ein gesandt werden.
    »Großmuttchen, glaubst Du, daß Mutti noch im alten Jahr nach Haus kommt? Sie schreibt doch, sobald als möglich. Und 1915, das ist doch noch schrecklich lange hin.«
    Aber Großmama konnte Nesthäkchen keine befriedigende Antwort darauf geben. Die meinte, man müsse in Geduld hoffen, daß die Heimreise bald gestattet würde.
    Geduldiges Hoffen ist gut für das Alter, Jugend will rasche Gewißheit. Annemarie beruhigte sich denn auch nicht bei Großmamas Worten, die kriegte einen nach dem anderen im Hause an, dann Mutti wohl heimgekehrte.
    Fräulein wurde ganz schwach von den unausgesetzten Fragen des kleinen Mädchens. Sie wußte sich keinen Rat mehr. Und schließlich tat sie Annemarie den Gefallen, mit dem Kopf zu nicken, daß die Mutter unbedingt bis Silvester wieder da sein werde.
    Hanne war entgegengesetzter Meinung, es gelangt selbst Nesthäkchens Beredsamkeit nicht, sie davon abzubringen. »Werden sich ja nicht schlecht hüten, die Englischen, jetzt die Deutschen herauszulassen, wo sie so bange sind, daß ihnen unsere Zeppelinekens nachts Bomben uff de Dächer spucken. Da wären se ja schöne dumm ...«
    Bruder Hans entschied sich für den Anfang des neuen Jahres, im alten würde gewiß kein Zug mehr von England nach Deutschland abgelassen.
    »Ja, Pustekohl«, fiel Klaus ein, »vielleicht Neujahr 1916. Interniert haben sie alle Deutschen, in große Gefangenenlager werden sie gebracht, wo sie es entsetzlich haben, aber keine Heimreise!«
    »Mutti nicht - Mutti wohnt doch bei den Verwandten, und bis Neujahr 1916 - ach - da ist doch der Krieg schon lange, lange vorbei! Vorläufig aber berappe erst mal fünf Pfennige für interniert, Kläuschen, denn das ist ein Fremdwort!« Nesthäkchen holte ihren kleinen Feldgrauen, der die Strafgelder schluckte, herbei.
    Kläuschen zeigte wenig Neigung, in die Tasche zu greifen. »Interniert ist das allgemein übliche Wort für die Festnahme von Zivilgefangenen, den jeder Zeitung steht's«, erklärte er großartig. »Das verstehst du nicht!«
    »Es ist aber ein Fremdwort, und dafür hast du zu blechen«, das Schwesterchen beharrte dabei.
    Die aufräumende Hanne, die als Schiedsrichter angerufen wurde, vertrat auch die Ansicht, man könne ebenso gute statt intendiert ‚eingespunnt‘ sagen. So half es nichts.

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