Nesthäkchen 05 - Nesthäkchens Backfischzeit
kommt für mich nicht in Betracht.«
»Bei mir kannst du gut übernachten, Albertine«, schlug Großmama vor.
»Ja, und Großmama wohnt nahe, da bringt euch Klaus nachher nach Hause«, pflichtete Annemarie bei.
Inzwischen rissen Marlene und Ilse unter vereinten Kräften das Telefon beinahe ab. Sie drückten die Gabel, sie rissen wütend an der Leitungsschnur, ja, Ilse bumberte sogar gegen den Telefonapparat. Aber das half den ungeduldigen jungen Damen alles nichts. Sie bekamen keinen Anschluß.
Doktor Braun, der von dem Besuch bei einem Patienten in der Nachbarschaft zurückkehrte, sah belustigt die vergeblichen Anstrengungen der beiden.
»Ja, Kinder, da werdet ihr euch wohl gedulden müssen, bis die Sperrzeit zu Ende ist. Das Telefon ist ebenfalls ohne Strom.«
»Was machen wir denn jetzt bloß, Marlenchen?« Ilse weinte fast vor Aufregung.
»Unsere Eltern werden sich mächtig um uns sorgen.«
Marlene nickte stumm. Sie wußte keinen Ausweg.
»Aber, Kinder, laßt euch doch deshalb bloß keine grauen Haare wachsen. Ihr bleibt alle bei uns. Vera kann bei mir schlafen, Marianne im Eßzimmer, Marlene hier im Wohnzimmer und Ilse im Sprechzimmer. Da muß sie allerdings morgens früh heraus ... fein geht's!« Annemarie schaffte sogleich Rat.
»Ein paar können mit zu mir hinüberkommen«, meldete sich auch Margot.
»Na also! Dann wollen wir doch ruhig weiterspielen. Schlagt was vor!« Annemaries leichtes Temperament war trotz Petroleumdunst und Dunkelheit wieder obenauf.
»Aber Annemarie, wo denkst du hin! Wir können doch nicht einfach fortbleiben und unsere Eltern im Ungewissen lassen, wo wir sind. Wir müssen unbedingt nach Haus.« Marlene griff bereits nach ihrem Hut.
»Ihr werdet sicher abgeholt werden, bleibt doch noch.« Annemarie machte ein unglückliches Gesicht, daß die Geburtstagsfeier so schnell abgebrochen werden sollte.
»Bei uns ist Wäsche. Das Mädchen kann heute abend nicht mehr den weiten Weg nach Charlottenburg herauskommen.« Obwohl Ilse Hermann gern geblieben wäre, zog sie ebenfalls, wenn auch zögernd, den Mantel an.
»Ja, Kinderchen, was machen wir da bloß?« Frau Braun sah sorgenvoll drein.
»Ich begleite Marlene und Ilse bis nach Haus.« Klaus konnte wirklich manchmal nett sein. »Und Marianne kann ich auch gleich dabei abladen, das ist kein großer Umweg.«
»Ach, ich werde bestimmt abgeholt. Ich wohne ja nicht so weit«, versicherte diese unbesorgt.
»Sag mal, Ernst, gehen denn keine ärztlichen Gespräche durch?« wandte sich Frau Braun an ihren Mann. »Dann könnte man Marlenes oder Ilses Eltern vielleicht verblümt davon benachrichtigen, daß sie an der Stadtbahn erwartet werden.« Der Mutter war es unbehaglich, selbst den unternehmungslustigen Primaner in die Finsternis hinauszulassen.
»Man kann's versuchen. Ärztliche Gespräche müssen erledigt werden, wenn auch der Privatverkehr gesperrt ist.«
»Aber das Amt hat sich doch gar nicht gemeldet.« Marlene stand wie auf Kohlen.
»Vielleicht hat es sanft geschlafen.« Wirklich, als Doktor Braun den Hörer abnahm, meldete sich nach einem Weilchen Amt Steinplatz.
»Ärztliches Gespräch nach Alexander«, verlangte er. Und als er mit dem Anwaltsbüro von Marlenes Vater verbunden war, teilte er kurz mit: »Hier Doktor Braun. Bestellen Sie bitte, daß die Patientin Marlene Ulrich, die augenblicklich in meiner Sprechstunde ist, um 9 Uhr vom Bahnhof Alexanderplatz abgeholt werden soll.«
Die Patientin Marlene Ulrich lachte wie ein Kobold. Auch Ilse, die nur ein paar Häuser von der Kusine entfernt wohnte, strahlte, daß sie den Mantel wieder ausziehen konnte.
»Meine Onkel und Tante werrden bestimmt kommen, mirr zu holen«, meinte Vera Burkhard.
»Hoffentlich nicht, daß du wenigstens bei mir schlafen kannst.« Am liebsten hätte Annemarie allen Freundinnen Obdach gewährt.
Das Abendbrot wurde noch höchst fidel. Was kümmerte die glückliche Jugend die ernste Kohlenknappheit und ihre einschneidenden Folgen für das wirtschaftliche Leben, welche die Erwachsenen still und besorgt machten. Alle lachten, scherzten und ließen sich Hannes schön mit eingelegten Früchten garnierten Heringssalat munden.
»Das Telefon ... das Telefon geht!« Die Mädchen schrien, als sei dies das größte Weltwunder. Dabei stand bei Brauns das Telefon für gewöhnlich nicht still.
»Ihr braucht euch nicht aufzuregen, Kinder ... irgendein Patient ...«
Es war aber der Vater von Marianne, ein Kollege von Doktor Braun, der ebenso schlau war wie
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