Nesthäkchen 05 - Nesthäkchens Backfischzeit
mußte.
Dazwischen rief Hanne erbost von der Küche herein: »Frau Braun, ich sitze mittenmang in'n Heringssalat ... is das jetzt 'ne Zucht!« Das kleine Hausmädchen meinte: »Nu geht die Welt unter ... mit Düsternis soll's immer anfangen.« Und Tante Albertinchen lamentierte: »Wenn ich doch bloß erst wieder auf meinem Stuhl säße!« Die Mädel aber quiekten und johlten. Ein unsagbares Durcheinander.
Frau Braun und ihre Mutter versuchten mit aller Energie, den Wirrwarr zu durchdringen.
»Ruhe, Mädel, jetzt seid mal still und helft mir. Hanne, lassen Sie Ihren Heringssalat und stecken Sie die Küchenlampe an, da muß noch Petroleum drauf sein. Heulen Sie nicht, Minna, so schnell geht die Welt nicht unter. Holen Sie lieber die Karbidlampe.« Ruhig und sachlich gab Frau Braun ihre Anordnungen.
»Ich kann ja nichts sehen, ich finde ja die Karbidlampe nicht, wo es so stockfinster is«, heulte das Hausmädchen.
Da blitzte plötzlich Licht in der Finsternis auf. Zwar nur ein winziges, aber es wurde doch immerhin ein wenig hell.
»Und es ward Licht!« schmetterte der Mädchenchor aus der Haydnschen Schöpfung.
Klaus war auf den guten Gedanken gekommen, seine Taschenlampe herbeizuholen.
Wie ein Glühwürmchen flog er jetzt von Zimmer zu Zimmer, leuchtete mit seinem Zitterschein Vaters Patient, daß er wieder in seine Kleider kam, der schimpfenden Hanne, daß sie die Küchenlampe anzünden konnte, dem heulenden Hausmädchen und der jammernden Tante Albertinchen, damit letztere wieder festen Fuß auf der Erdoberfläche fassen konnte.
Nicht lange dauerte es, da war alles wieder in schönster Ordnung. In Vaters Zimmer verbreitete die Karbidlampe zwar keine Helligkeit, aber dafür einen umso durchdringenderen Duft. Im Wohnzimmer blakte und rauchte die altmodische Stehlampe, die längst ausrangiert war, wie ein Schornstein. Draußen in der Küche aber hörte man Hanne schimpfen: »Bei die feenhafte Beleuchtung kann kein Mensch nich'n Heringssalat jarnieren.« Dabei brannte ihre Küchenlampe noch am besten.
Allmählich beruhigten sich auch die Gemüter, die Fluten der Erregung ebbten ab. Doktor Braun bastelte an der elektrischen Hauptleitung herum. Die jungen Mädchen wollten eben trotz des mangelhaften Lichtes ein neues Gesellschaftsspiel vornehmen, da hörte man draußen in der Küche Hannes laute Stimme: »Das elektrische Licht versagt im janzen Haus, allenthalben sitzen se im Dustern ... es soll gesperrt sein.«
»Also doch! Dann hat meine Arbeit hier keinen Zweck.« Doktor Braun eilte ans Fenster. Die ganze Gesellschaft folgte.
»Ich grraulen mirr.« Vera umfaßte Annemarie.
Pechschwarz lag die Straße da. Keine Bogenlampe sandte ihren milchigen Schein wie sonst herab. Keine Laterne brannte. Die Fensteraugen der Häuser starrten blind in das undurchdringliche Schwarz. Nur hier und da blinzelte eine flackernde Kerze aus einer Wohnung trübselig in die Nacht hinaus.
»Gas scheint es auch nicht zu geben ...«
»Hu, ist das ungemütlich.« Ilse schmiegte sich an Marlene.
»Gut, daß ich hier im Hause wohne und nicht auf die dunkle Straße zu gehen brauche, in solcher Finsternis kann man überfallen und ausgeraubt werden«, frohlockte Margot menschenfreundlich.
Den anderen wurde bei der Aussicht etwas unbehaglich zumute. Marlene zeigte sich als Verständigste.
»Ich glaube, es ist besser, wir fahren bald nach Hause. Unsere Eltern sorgen sich am Ende«, schlug sie vor, obwohl es ihr schwer wurde, Annemaries Geburtstagsfeier frühzeitig zu verlassen.
»Fahren ... womit denn? Es geht ja keine Straßenbahn, wenn's keinen Strom gibt«, folgerte Klaus.
Himmel ... was nun? In der Tat, keine elektrische Bahn bimmelte die Straße entlang. Es war, als ob die sonst so lärmende Großstadt plötzlich ausgestorben wäre.
»Ja, das hilft nichts, nach Hause müssen wir. Dann müssen wir mit der Stadtbahn fahren, die geht«, erklärte Marlene.
»Aber da müssen wir noch solch ein Ende vom Bahnhof laufen.« Ilse schaute grimmig drein.
»Nein, Kinder, ich lasse euch keinesfalls in der Dunkelheit allein gehen«, erhob Frau Braun Einspruch. »Telefoniert nach Haus, daß man euch um neun Uhr vom Bahnhof Alexanderplatz abholt. Dann könnt ihr noch mit uns Abendbrot essen.«
»Au ja ... fein!« Die beiden Kusinen eilten ans Telefon.
Inzwischen regte sich aber Tante Albertinchen schrecklich auf.
»Ach Gott ... du mein Gott, was mache ich denn nun bloß? Ich fahre doch sonst mit der Straßenbahn von Tür zu Tür. Stadtbahn
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