Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest
erschrocken sah die brave Frau, die den Scherz nicht erfaßte, von einem zum andern.
»So hältscht halt bei mir mit. Ich bin' um die Ehr' zu ein Gericht Spätzli zum Nachtmahl.«
»Spätzli - au fein - da halt' ich mit, Frau Kirchmäuser. Schwäbische Spätzle muß ich kennenlernen, eher bin ich hier nicht daheim«, rief Annemarie begeistert.
»Wenn'sch auch Spätzli möge?« wandte sich freundlich die Wirtin an die beiden bescheiden Danebenstehenden.
»Gern, aber wir möchten Ihnen doch nicht die Mühe machen«, wandte Marlene ein.
»Mühe ischt gar keine nit, Spätzli mach' i halt doch.« Frau Kirchmäuser packte ihr Gartengerät zusammen und erhob sich, um ins Haus zu gehen.
»Ich würde gern zusehen und lernen, wie man Spätzli macht«, bat Ilse. »Meine Mutter freut sich sicher, wenn ich ihr neue Kochrezepte mit heimbringe.«
»Dann weißt du ja, wozu du hier in Tübingen die Universität beziehst«, lachte sie Annemarie aus.
»Ihr könnt halt alle drei beim Spätzlimache helfe«, entschied die Wirtin, die Gefallen an den drei Mädeln fand.
»Famos - wir binden alle drei zusammen unsere Wirtschaftsschürze um«, rief Annemarie. Trapp - Trapp - ging es die schmale Stiege hinauf.
Bald standen sie im Trio in der kleinen Küche neben Frau Kirchmäuser. Ilse, die die meisten Hausfrauenkenntnisse hatte, band sich die gemeinsame Schürze um.
Marlene hatte sich sorglich ein Küchenhandtuch über den blauen Faltenrock gesteckt. Annemarie aber thronte auf dem Kohlenkasten im Verein mit Vronli, Kaschperle und Putzerli.
Während Ilse das Mehl nach Frau Kirchmäusers Geheiß einrührte, und Marlene die eingelegten Zwetschen, mit denen die Spätzli gefüllt werden sollten, auf dem kleinen Herd mit Zucker aufkochte, hatte Nesthäkchen die Absicht, sich durch Zuschauen an der Arbeit zu beteiligen.
Aber ihre Wirtin schien anderer Ansicht. »Holen's die Nudel, Fräuli, schauen's, daß weiterkomme«, kommandierte sie.
Die Nudel? Ratlos blickte Annemarie in der Küche umher. Sie kannte nur die Nudeln, die Hanne daheim zu fabrizieren pflegte. »Da hängt'sch.« Frau Kirchmäuser wies in die Ecke. Nesthäkchens Gesicht wurde nicht schlauer.
»Bischt halt noch a arg's Dummerli«, sagte die Frau mitleidig und nahm das Nudelholz vom Nagel. »Kannscht de Spätzli ausrolle.« Annemarie erschien der tüchtigen Wirtin noch so unwissend und ungewandt, daß ihr immer wieder das »Du« in die Anrede kam.
Spätzli ausrollen - da war Annemarie gleich dabei. Das war sicher eine lustige Arbeit. »Nudel - nut - nut - nut - Nudel - nut - nut - nut -« übermütig begann sie nach einem Leierkastenlied auf den Teig loszunudeln.
»Nicht so temperamentvoll, Annemie!« Kritisch sah Ilse zu.
Wutsch - da hatte sich der ganze Teiglappen um das Nudelholz gerollt und klebte fest wie Kleister.
»Frau Kirchmäuser, die Spätzli sind davongeflogen.« Ein wenig besorgt rief Annemarie jetzt nach der Meisterin.
»Nehmen's halt Mehl«, meinte diese gleichmütig.
Annemarie streute Mehl wie eine Lockspeise auf das Brett, aber den Spätzli fiel es nicht ein, anzubeißen.
»Sie sitzen wie die Spatzen auf einer Telegrafenstange hier an meinem Holz fest«, sagte sie.
Da nahm ihr die Wirtin energisch das Nudelholz aus der Hand und rieb den Teig mit Mehl herunter.
»Ich werd' meine Spätzli schon selber richte, sonst kriege wir am End' Steine zu esse anstatt d' Spätzli.«
Mit gewandtem Griff rollte sie dann den Teig, schnitt ihn kunstgerecht, und füllte ihn mit Zwetschen. »So ischt recht - in a Stund könn' mer esse.«
Die drei Küchenlehrlinge waren entlassen.
Einen tiefen Stoßseufzer ließ Annemarie vom Stapel. »So - das erste Kolleg bei der Frau Kirchenmaus war' glücklich vorüber. Hoffentlich stelle ich mich morgen im ersten Kolleg bei Professor Bergholz nicht ebenso dämlich an. Allgemeine Anatomie ist sicher nicht so schwer wie Spätzli ausrollen.«
»Ich wollte, der erste Universitätstag wäre schon vorüber. Gräßlich ist es mir, morgen zum ersten Mal unter lauter fremden Mädeln und Jünglingen zu erscheinen. Ja, wenn wenigstens noch Marlene dabei wäre«, sagte Ilse ein wenig betrübt.
»Natürlich, die Kinderfrau muß dabeisein. Es ist ganz gut für dich, Ilslein, daß du mal lernst, selbständig zu gehen und dich nicht immer von Marlene gängeln zu lassen«, entschied Nesthäkchen weise.
»Die Kinderfrau hat selbst einen Bammel, wenn sie an das erste Kolleg morgen denkt. Botanik, Physik und Chemie hören wir ja wenigstens
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