Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest
fix und fertig. Am Fenster stand sie und schaute lachend in das Gärtchen hinab, in dem zwei Kinder, ein Bub und ein Mädchen, sich gerade verprügelten.
»Still bischt!« rief das vielleicht um zwei Jahre ältere Mädel und hielt dem schreienden kleinen Bruder energisch den Mund zu.
»Garscht'ges Madie, wart, ich sag's dem Mutterli«, heulte der Kleine, kaum daß er wieder Atem schöpfen konnte.
Verschmitzt griff die junge Horcherin oben am weinumrankten Fenster nach ihrem Täschchen, und hui - da ging ein Bonbonregen auf die erschreckt innehaltenden Kämpfer herab.
»Lueg, Bronli, 'seh regnet Zuckerle.« Mit hellem Jubellaut erwachte der Bub aus seiner Erstarrung. Der süße Regen wurde jauchzend aufgefangen.
»Kaschperle, das musch der heilige Nikolaus gewesche sein.« Ein wenig scheu blickte die größere Schwester zum Himmel empor, aus dem es plötzlich »Zuckerle« regnete.
Droben am Fenster, verborgen von den Weinranken, stand der heilige Nikolaus und lachte wie ein Kobold.
Die Freundinnen kamen verwundert aus dem Nebenzimmer herbei. »Annemie, was gibt es denn?« Neugierig spähten sie über die Schulter in das Gärtchen hinab.
»Dasch ischt dasch Bronli und dasch Kaschperle, unsere Wirtschkinder. Und hier stell' ich euch den heiligen Nikolausch vor, der Zuckerle regne lascht.« Das ausgelassene Nesthäkchen sprach, seitdem es in Schwaben war, nur noch in Sch-Lauten, selbst da, wo der schwäbische Dialekt es gar nicht erforderte.
»Annemarie, was fällt dir ein - bist du denn überhaupt schon mit Auspacken und Einräumen fertig?« Marlene blickte erstaunt auf den leeren Koffer.
»Ischte schon alles auf'sch beschte erledigt«, behauptete Annemarie lachend, und eilte zur Tür hinaus.
»Ein glücklicher Mensch ist doch Annemie in ihrer Unbeschwertheit. Ich beneide sie um ihr heiteres Wesen.« Nachdenklich sah Marlene hinter der Davoneilenden her.
Schon schallte Annemaries helle Stimme vom Gärtchen herauf.
»Grüß Gott, Frau Kirchmäuser, schön haben Sie's hier. Und unsere Bude ist ganz famos.«
»Bei Ihne daheim ischt's gewisch auch arg schön«, meinte die Wirtin freundlich.
»Gewisch nit«, beteuerte Nesthäkchen. »Berlin ischt ein großer Steinbaukasten, arg wuscht ischt's da. Und Charlottenburg ischt nit viel besser!«
»Haben'sch da gar keine Berg' nit?«
»Berge - o ja, den Kreuzberg haben wir da. Der ischt fascht so hoch wie ein Maulwurfshügel«, lachte das junge Mädchen.
»Du bischt aber guet«, stimmte Frau Kirchmäuser in das helle Mädchenlachen mit ein, das steife »Sie« außer acht lassend.
»Soll ich Ihnen beim Salatsetzen helfen, Frau Kirchmäuser?« Gefällig reichte Annemarie der am Boden kauernden Frau die zarten Pflänzchen zu.
»Wenn'sch g'scheit gnua dazu bischt«, meinte diese lachend. Annemarie amüsierte sich gottvoll. Und die oben am Fenster der Unterhaltung lauschenden Freundinnen nicht minder. Es zeigte sich aber, daß Nesthäkchen, das soviel Weisheit und Abiturientenexamen in seinem hübschen Kopf aufgespeichert hatte, tatsächlich zum Salatsetzen nicht gescheit genug war. Das fanden sogar Vronli und Kaschperle.
»Lueg, Mutterli, das große Mädle tut noch nit mal richtig pflanze«, flüsterte Vronli strahlend der Mutter zu.
»Aber die Zuckerle haben doch fein geschmeckt, gelt, Vronli?« Annemarie strich dem kleinen Flachskopf über die steif vom Kopf abstehenden, winzigen Zöpfchen.
»Arg guet«, bestätigte das Vronli.
»Magst noch einen?«
»Freili - gelt, der heilige Nikolaus hat auch bei dir Zuckerle regne lasse?«
Annemarie schob jedem der Kleinen einen der noch aufgesparten Bonbons in das Mäulchen. Vier kleine Arme umstrickten fest ihren Hals.
»Du bisch guet, Tanteli.« Die Freundschaft war geschlossen.
Noch eine wurde in den Freundschaftsbund eingereiht, »Putzerli«, das schwarzweiße Kätzchen. Das rieb sich das seidenweiche Fell am Rock des jungen Mädchens, zum Zeichen, daß dieses jetzt in den Familienkreis Kirchmäuser aufgenommen sei.
»Wer zu Kinderle und Tierle lieb ischt, ischt halt a gueter Mensch«, meinte Frau Kirchmäuser, recht zufrieden mit der neuen Hausgenossin. Inzwischen hatten auch die beiden anderen ihre Räumungsarbeit beendigt und stellten sich ebenfalls am Hausbänkle ein.
»Wehe dir, wenn du nicht Ordnung schaffst, Annemarie. Dann bekommst du nichts zu essen«, drohte Marlene.
»Hören Sie's, Frau Kirchmäuser, wie ich behandelt werde? Und das nennt sich Freundinnen! Nix zu essen wollen sie mir geben!«
Ganz
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